von Sandro Danilo Spadini
Es war die spektakulärste und zugleich umstrittenste Personalie der jüngsten Filmgeschichte: Als die Produzenten der James-Bond-Franchise am 14. Oktober letzten Jahres also sprachen, der
38-jährige Engländer Daniel Craig werde das Erbe des populären Pierce Brosnan antreten, ging ein bis heute nicht verstummtes Raunen oder vielmehr Murren durch den Blätter- und Datenwald. Anders
als bei der letzten Nachfolgeregelung mit der gleichsam logischen Lösung Brosnan schossen die Kontroversen sogleich ins Kraut und zuweilen übers Ziel hinaus. Derweil Berufskollegen wie der von
Craig im Rennen um den Bond-Job ausgestochene Clive Owen lobten, endlich sei einmal ein «richtiger» Schauspieler für die 007-Rolle besetzt worden, moserte die Fan-Basis und schaltete
Anit-Craig-Websites auf. Mit der Begründung, der Neue sei klein, blond und schaue seltsam aus, wurde etwa auf www.craignotbond.com gar zum Boykott des Films aufgerufen.
Auch was für Frauen
Ganz andere Töne und Geräusche waren demgegenüber aus der Damenwelt zu vernehmen. Dies spätestens seit der Ausstrahlung des ersten Trailers, war dort doch Ungeheuerliches und gleich in mehrfacher
Hinsicht tief blicken Lassendes zu sehen: Keine auf den Spuren von Ursula Andress’ Honey Ryder (oder wenn es denn sein muss: Halle Berrys Jinx) wandelnde Schönheit ist es, die leicht bekleidet
aus den Meeresfluten steigt, sondern der geradezu obszön muskulöse Craig! Nur schon diese klitzekleine Sequenz liess erahnen, dass ausgerechnet mit «Casino Royale» – dem ersten Bond-Roman aus der Feder Ian
Flemmings – die bisherige Strategie tatsächlich über den Haufen geworfen wird und erstmals explizit auch ein neues, namentlich weibliches Publikum angesprochen werden soll. Und in der Tat ist der
neue Bond nicht mehr eine exklusive Machokiste. So werden Testosteron-Traditionalisten etwa mit Schrecken vernehmen, dass hier Fleisch wie auch Karosserie gewordene Männerfantasien ebenso weit
gehend fehlen wie die das Kind im Kerl weckenden Hightech-Spielsachen: Die beliebten Standardrollen der rassigen Miss Moneypenny und des verschrobenen Technikzauberers Q wurden – notabene
werkgetreu – weggelassen, und der vornehmlich seine Fäuste benutzende Bond fährt, nun ja, Ford.
Radikaler Paradigmawechsel
Doch beileibe nicht nur an derlei Äusserlichkeiten manifestiert sich ein deutlicher und gerade nach dem durchwachsenen Vorgänger «Die Another Day» dringend nötig gewordener Paradigmawechsel,
welcher der schleichenden Gefahr der Austauschbarkeit entgegenwirken soll. Wie schon den beiden anderen streitbaren (und freilich höchst erfolglosen) Thronfolgern, dem Sean Connery ablösenden
George Lazenby und dem Roger Moore beerbenden Timothy Dalton, wird es auch Craig zugestanden, seine Figur neu zu erfinden. Geruhte Lazenby als vermenschlichter und am Ende gar verheirateter Bond
im Schottenrock rumzuturnen und pflegte Dalton als zynisch zeitgeistiger «Rambo»-007 mit der Uzi rumzuballern, laufen bei Craig nun just diese beiden gegenläufigen Tendenzen zusammen: Er wirkt
sowohl härter als auch verletzlicher als sein stets die Contenance wahrender und weitaus britischerer Vorgänger. Sein Bond flucht, schreit, weint, lacht, liebt – und lebt. Überaus körperbetont
und verbissen agierend, des Öfteren Nerven zeigend und den Charme einer Tiefkühlbox (oder Timothy Daltons) versprühend, bricht seine Interpretation mit dem mehr traditionellen Rollenverständnis
Brosnans auf radikale und bisweilen durchaus irritierende Weise. Dies jedoch hat System. Oder wie ist es sonst zu deuten, wenn Bond bei der Wodka-Martini-Bestellung auf die Frage nach gerührt
oder geschüttelt ungehalten entgegnet: «Sehe ich so aus, als ob mich das interessieren würde?»
Gewitztes Drehbuch
In solch augenzwinkernden Szenen, aber insbesondere auch in den auffallend vielen Close-ups von Craig zeigt sich das unerschütterliche Selbstbewusstein, mit dem die Macher hier allen Vorbehalten
zum Trotz zu Werke gingen. Mag Brosnan auch der bessere Bond sein – Craig ist zweifelsohne der bessere Schauspieler, war die erste Wahl der Produzenten und wird entsprechend nicht «versteckt».
Entgegen kommt ihm freilich auch, dass «Casino Royale» – vor 40 Jahren mit einem sagenhaften Staraufgebot und von sage und schreibe fünf verschiedenen Regisseuren schon einmal als chaotisch
debile Persiflage verfilmt – quasi die Geburt des Agenten mit der Doppelnull zeigt; gewisse Unsicherheiten seitens des im Vorspann erstmals seine Lizenz zum Töten anwendenden Grünschnabels
ergeben somit sehr wohl Sinn. Und nicht unwesentlich profitieren Craig und seine Kollegen von einem speziell bei den Dialogen überaus gewitzten und den Rest wie gewohnt die längste Zeit im
Dunkeln lassenden Skript, an welchem mit «Crash»-Regisseur und «Million Dollar Baby»-Autor Paul Haggis einer der diesbezüglich derzeit heissesten Hollywood-Typen mitgearbeitet hat. Eine kleine
Offenbarung an Wortwitz ist etwa jene recht lange Sequenz, in welcher Bond seinem zukünftigen Liebchen Vesper Lynd (prächtig mit Craig harmonierend: Eva Green aus «The Dreamers») erstmals
begegnet. Oder wenn er von M (als Einzige weiterhin dabei: Judi Dench) zur Schnecke gemacht wird. Oder wenn er im finalen Pokerspiel dem vom Dänen Mads Mikkelsen gar nicht übel gespielten
Bösewicht Le Chiffre Paroli bietet.
Alles, was es braucht
Fulminant in Szene gesetzt wurde dies alles und noch vieles mehr vom Neuseeländer Martin Campbell, der in «GoldenEye» bereits Brosnan auf die Sprünge half und hier nun sämtliche Unkenrufe nach
einem namhafteren Regisseur (z. B. dem sich gerne selbst ins Gespräch bringenden Quentin Tarantino) zum Verstummen bringt. Mit der allgemein schon länger geforderten Rückkehr zu mehr
handgemachter Action sowie dem Verfolgen eines realistischeren Ansatzes haben so letztlich alle Beteiligten den teils gar voreiligen Kritikern das Maul gestopft und den Turnaround geschafft. Die
Marke Bond ist neu lanciert – 007 ist wieder oder vielmehr neu geboren als Mann mit dem goldenen Haar. «Casino Royale» hat in der Quintessenz alles, was ein Film dieser Reihe und ein Actionfilm
im Allgemeinen braucht. Es ist dies der beste Bond seit 20 Jahren. Trotz Craig. Und irgendwie auch wegen Craig.