Mit den Augen Hollywoods

«Secret in Their Eyes»: Die Amerikaner haben den Oscar-prämierten argentinischen Thriller «El secreto de sus ojos» mit Starpower neu verfilmt. Muss man das? Nein. Kann man aber.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist keine populäre Einstellung: das Tolerieren von Hollywood-Remakes fremdländischer Filmhits. Lieber schreit man: Kulturimperialismus! Und: Simplifizierung! Trivialisierung! Nivellierung! Globalisierung! Und es stimmt schon: Was haben doch die Amis damals den Schluss des holländischen Schockers «Spoorloss» und des norwegischen Thrillers «Insomnia» verhunzt. Und wie haben sie den französischen Albtraum «13 Tzameti» banalisiert; die italienische Romanze «L’ultimo bacio» schablonisiert; das spanische Rätsel «Abre los ojos» vanillisiert; das deutsche «Experiment» brachialisiert. Wirklich zugrunde gerichtet freilich hat Hollywood noch selten einen Import; und dann und wann, jawohl, kommt sogar so ein Remake, das die Vorlage übertrumpft – dem quasi ein «Hollywood Finish» zuteilwird.

Einige clevere Ideen

Auf «Secret in Their Eyes» trifft das mit dem Finish indes nur im unvorteilhaftesten Sinn zu. Dafür hat der US-Neuaufguss des Oscar-prämierten argentinischen Thrillers «El secreto de sus ojos» Nicole Kidman und Julia Roberts. Und «12 Years a Slave»-Star Chiwetel Ejiofor schlüpft in die grossen Schuhe von Ricardo Darín als Ermittler, der von einem alten Fall besessen ist. Regie geführt hat mit Billy Ray ein Mann, der das in seiner 20-jährigen Karriere zuvor erst zweimal getan hat – dies aber auffallend gut («Breach», «Shattered Glass»). Rays Stärke ist eigentlich das Schreiben; das Skript zu «State of Play» geht etwa auf sein Konto. Zutage tritt das hier in einigen cleveren Einfällen. So verlegt er das (erinnerte) Geschehen von den Anfängen der argentinischen Militärdiktatur in den Siebzigern in die USA vier Monate nach 9/11. Es herrscht auch hier ein Klima der Angst; der Rechtsstaat ist ebenfalls «on hold». Ray Kasten (Ejiofor) ist vom FBI nach L.A. geschickt worden, um mit der dortigen Staatsanwaltschaft eine Moschee zu überwachen. Als man in deren Nähe die Leiche einer jungen Frau findet, schüttelt es ihn durch: Es ist die Tochter seiner Kollegin Jessica (Roberts). Und es wird ihn nie mehr ruhen lassen: Noch 13 Jahre später, als Privatdetektiv, widmet er sich Tag für Tag dem Fall, durchkämmt daheim am PC Fotos von Knastbrüdern, 1906 Bilder pro Abend. Bis er es endlich gefunden zu haben meint: das Schwein, das man damals hat laufen lassen für Informationen über die Terroristen in der Moschee. Und so schlägt er nun wieder bei der Staatsanwaltschaft in L.A. auf; seine alte Flamme Claire (Kidman) leitet diese inzwischen, Jessica ist Chefinspektorin. Und beide sind willens, den Fall neu aufzurollen.

Ohne Eleganz

Es ist hier also persönlich. Und massgeschneidert für Julia Roberts, deren Figur so im Original nicht existiert. Sie ist es auch, die das mimische Glanzlicht setzt. Wie eine Vogelscheuche schaut sie dabei aus, «wie eine Million Jahre», findet Kasten. Kidman hat es derweil offenbar nicht gereizt, dass man ihr die 13 Jahre, die zwischen den beiden verzwirnten Erzählsträngen liegen, ansieht; bei Ejiofor müssens ein paar graue Stoppeln im Bart tun, was bewirkt, dass man beim Wechsel der Zeitebene bisweilen die Orientierung einbüsst. Dabei hat Regisseur Ray das wie Vorlagengeber Juan José Campanella gut hingekriegt. Und etwas hat er diesem gar voraus: Er erzählt den Plot ein wenig flüssiger. Ansonsten aber ist nun Handwerk, wo Eleganz war. Nichts mehr ist da von der golden schimmernden Melancholie; an die Stelle der cineastischen Gemälde sind Bilder getreten, denen jede Finesse fehlt. Deutlich wird das bei der wohl berühmtesten Szene des Originals, der vielleicht besten Fussballaufnahme der Kinogeschichte: Atemberaubend war es, wie dort die Kamera über das Spielfeld direkt in die vollen Ränge des Racing-Stadions schwebte, um von dort eine wilde Verfolgungsjagd durch die Katakomben vom Zaun zu reissen. Hier gibt es was Ähnliches im Dodgers-Stadion; es ist nicht die beste Baseballszene der Filmgeschichte. Frappant ist die Amerikanisierung auch beim entzauberten Schäkern zwischen den verhinderten Geliebten Claire und Ray und in dessen Reaktionen auf Ungemach: Wo Daríns Benjamín innerlich leidet, da brüllt Ejiofors Ray seinen Chef an, schlägt dem Unhold die Visage zu Brei und posaunt: «Let’s kill him!» Es sind das die Tiefpunkte hier. Am Ende aber bleibt ein immerhin solider Thriller. Überflüssig? O ja. Aber nicht weiter schlimm. Und im Übrigen nicht das erste Remake seiner Sorte: Nebst dem argentinischen Gaunerstück «Nine Queens» (2000) bereitete Hollywood bereits 1942 ein Gaucho-Musical mit Rita Hayworth und Fred Astaire neu auf. Von wegen Globalisierung.