Die der Berg gerufen hat

Die in opulenten Bildern gehaltene und mit grossem Staraufgebot besetzte Literaturverfilmung «Cold Mountain» umgeht grösstenteils geschickt die Tücken der Vorlage.

 

von Sandro Danilo Spadini

Obgleich die Oscars erst am 29. Februar vergeben werden, steht mit «Cold Mountain» der grosse Verlierer der diesjährigen Preisverleihungssaison bereits jetzt fest. Trotz Favoritenrolle mit acht Nominierungen ging das Bürgerkriegsdrama bei den Golden Globes praktisch leer aus, und als dann zwei Tage später die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben wurden, fehlte der Name «Cold Mountain» zur allgemeinen Überraschung in fast allen wichtigen Kategorien. Dabei schien das aufwendig produzierte Projekt doch nachgerade vorbestimmt für höhere Ehren: Kaum etwas wurde bei der filmischen Umsetzung von Charles Fraziers gefeiertem Roman mit dem Engagement des seit «The English Patient» als Spezialist für Literaturverfilmungen geltenden Regisseurs Anthony Minghella, der aktuellen Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman sowie eines guten Dutzends weiterer Ausnahmekönner dem Zufall überlassen. Dass nun bloss Hauptdarsteller Jude Law und Nebendarstellerin Renée Zellweger sich im Kreise der Auserwählten wiederfinden, ist trotz insgesamt sieben Nominierungen eine herbe und völlig unerwartete Enttäuschung.

Wenig filmtaugliche Struktur

In seinem 1997 erschienenen Debütroman erzählt Frazier eine sich inmitten der detailliert und nicht immer leicht verdaulich geschilderten Wirren des amerikanischen Bürgerkriegs abspielende Liebesgeschichte: Der an Körper und Seele verwundete Südstaaten-Soldat Inman flüchtet aus dem Lazarett, um sich auf eine homersche Züge tragende Odyssee zu begeben, die ihn nach Hause bringen soll, wo seine grosse Liebe Ada den Entbehrungen der Kriegsjahre zu trotzen versucht. Auf zwei getrennten Ebenen widmet sich Frazier Adas Kampf und – weitaus mitreissender – Inmans beschwerlichem, von ständiger Angst vor den Feinden aus dem Norden, vor allem aber vor der auf der Jagd nach Deserteuren gänzlich unzimperlich vorgehenden Bürgermiliz geprägtem Weg. Das ist freilich eine nur bedingt filmtaugliche Struktur, widerspricht doch der Umstand, dass das Paar mit Ausnahme von einigen Rückblenden erst zum Schluss auf der Leinwand vereint ist, herkömmlichen Kinomustern. Als herzergreifende Liebesgeschichte funktioniert der Film – wie im Übrigen schon der Roman – denn auch nur mässig gut. Gleichwohl hat er seine Reize.

Geschickt verdichtet

Minghella hat die mitunter in epischer Breite geschilderte Handlung des über 600-seitigen Werks, das nicht zuletzt von seinen teils tragischen, teils amüsanten, teils philosophischen Anekdoten und vom rein beschreibenden Element lebt, äusserst geschickt verdichtet und sich dabei meist respektvoll gegenüber der Vorlage gezeigt. Den weitschweifigen Naturschilderungen, die selbst jenen eines Adalbert Stifter das Wasser reichen können, ist er mit prachtvollen Bildern gerecht geworden, die nur selten mit übertriebener Opulenz protzen. Auch den ungeachtet aller Garstigkeiten immer wieder eingeflochtenen Humor des Romans hat er in adäquater, eingedenk der ganz und gar gedrückten Grundstimmung willkommener und wohltuender Weise in seinen Film einfliessen lassen. Das nackte Chaos, das blanke Entsetzen, die bare Verzweiflung, das Rohe, Raue, Widerliche, Ungehobelte, Niederträchtige hat er hingegen nur in abgeschwächter Form eingefangen, was zwar den Geist der Vorlage torpediert, mit Blick auf die auf Mainstream ausgerichtete Konzeption aber verständlich wie verzeihlich ist. Anders als Ang Lee vor rund fünf Jahren mit «Ride with the Devil» ist Minghella so ein packendes – mit seinen zweieinhalb Stunden Spielzeit keine Minute zu langes – Bürgerkriegsdrama geglückt, das sich bei durchaus wohlwollender Einstellung zum unterlegenen Süden weniger mit den politischen Hintergründen und der Frage der Sklavenbefreiung beschäftigt; vielmehr konzentriert er sich, das Pathos zumeist in erträglichen Grenzen haltend, auf das Schicksal zweier Liebender und die stimmungsvolle Schilderung menschlichen Daseins in einer aus den Fugen geratenen Welt. Dass dieses auf den Spuren von «Gone with the Wind» wandelnde Konzept über weite Strecken aufgeht, liegt gewiss auch an einer nur vordergründig abenteuerlich anmutenden amerikanischen, englischen, irischen und australischen Besetzung, von der immerhin Jude Law und Renée Zellweger dem 29. Februar gespannt entgegenblicken dürfen.