Schmutzige Geschäfte in den holländischen Kriegswirren

Paul Verhoevens bildgewaltig wuchtiger Zweitweltkriegs-Thriller «Black Book» ist ein von Grund auf seltsamer, aber in vielerlei Hinsicht überaus erhellender und spannender Film.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist eine Gratwanderung, auf die sich der 68-jährige Provokateur Paul Verhoeven bei seiner Rückkehr nach Holland begeben hat. Alleine der Gedanke, der Regisseur von Schlüpfrigkeiten wie «Showgirls» oder «Basic Instinct» wagte sich mit den Zweitweltkriegswirren in seiner Heimat zu befassen, dürfte auf mancher Stirn kratertiefe Runzeln erzeugen. Denn wo Verhoeven am Werk ist, sind die Gesetze der Pietät und Subtilität meist ausser Kraft gesetzt. Im Grunde ist das auch hier, im kostenintensiv produzierten und wuchtig umgesetzten Thriller «Black Book», nicht viel anders. Und gleichwohl hat er was, dieser mit Klischees kokettierende und Erotischem hantierende Historienschinken teils genuin altmodischer, teils dezidiert moderner Prägung. «Black Book» ist sogar fast so was wie ein kleines Wunder: ein Kriegsdrama, das mit vielerlei erhellenden Ansätzen aufwarten kann, und gleichzeitig ein typischer Paul-Verhoeven-Film, der kein (Feigen-)Blatt vor den Mund oder sonstige Körperteile nimmt und sich unter hohem kinematografischem Bewusstsein schamlos und mit Haut und Haaren der Unterhaltung verschrieben hat.

Befremdliche Heldin

Die Geschichte respektive deren Hintergründe basieren auf wahren Begebenheiten, die Heldin, um die sich während knapp 140 Minuten fast alles dreht, ist jedoch fiktiv: Rachel Stein (Carice van Houten) ist eine trotz allem unbekümmert gebliebene und in dieser Unbekümmertheit etwas befremdliche Person aus wohlhabendem jüdischem Hause, die es dank ihrer Sangeskünste zu gewissem Ruhm gebracht hat, durch den Krieg aber in den staubigen Untergrund getrieben wurde. Nach der gescheiterten Flucht nach Belgien, die ihre Eltern das Leben, sie aber nicht nachhaltig den Frohmut kostete, schliesst sie sich dem Widerstand an. Im Zuge ihrer diesbezüglichen Undercover-Tätigkeiten verliebt sie sich in einen Briefmarken sammelnden Hauptsturmführer (Sebastian Koch), der sich im Lichte der sich abzeichnenden deutschen Niederlage den «Terroristen» durchaus kooperativ zeigt und ohnehin eher dem Typus «relativ guter Nazi» zuzuordnen ist. Mag es nun an der Figurenzeichnung oder van Houtens Spiel liegen – auch dieser moralische Konflikt scheint irritierenderweise Rachels Seelenlage nicht zu ändern. Was sich in dem 1945 angesiedelten Film jedoch allmählich ändert, ist der von Pauken und Trompeten dominierte Grundton. Laut bleibt es zwar, doch mehren sich nun die Zwischentöne.

Verrat und Niedertracht

Erweckte das Ganze bis etwa zur Mitte noch einen beinahe comichaften Eindruck mit Karikaturen von Figuren, ungestümen Action-Einlagen und einem all dies befeuernden anachronistischen Soundtrack, so erwachen die vormals schemenhaften Handlungsträger ab Spielhälfte zwei auf einmal zum Leben. Der (historische) Hintergrund nimmt nun Formen an und verdichtet sich schliesslich zu einem so facettenreichen wie verstörenden Bild, welches das volle Ausmass der verräterischen Niedertracht zeigt, zu der Menschen fähig sind. Im Vordergrund steht derweil die Aufdeckung eines von diversen Parteien betriebenen schmutzigen Geschäfts um die Ermordung und Beraubung reicher Juden, ob welcher Rachel schliesslich zwischen Stuhl und Bank und in ein veritables Paradox gerät: Sie muss letztlich das Ende des Krieges fast noch mehr fürchten als dessen Fortsetzung. In den letzten Minuten kommt der Plot nun endlich bei dem titelgebenden schwarzen Buch an, und auf dem Weg dahin hat sich Verhoeven bisweilen die Freiheit genommen, einige eigentlich unzulässige dramaturgische Abkürzungen zu nehmen. Wie bei Steven Soderberghs ähnlich gelagertem Thriller «The Good German» ist der so entstandene Schaden indes überschaubar, liegt doch Verhoevens primäres Interesse nicht bei der Kriminalhandlung, sondern im Aufzeigen verdammungswürdiger menschlicher Verhaltensweisen – ob diese Menschen nun Nazis, Juden, Kollaborateure oder Widerstandskämpfer sind. Mit Kriegsende ist entsprechend noch nicht das Filmende erreicht: Der Verrat geht weiter, Rachels Horror setzt sich fort. Und wenn dieser von Grund auf seltsame, in seiner Heimat notabene ohne grössere Kontroversen aufgenommene Film mit einer monumentalen Aufnahme von Rachel in ihrer neuen Heimat Israel schliesst und dabei abermals die Panzer auffahren, dann weiss man, dass der Horror für sie wohl nie enden wird. Doch man hat bis dann das Gottvertrauen, dass sie auch damit klarkommen wird – dass sie überleben wird.