von Sandro Danilo Spadini
Dass Franzosen schwierig tun können, wenn sich Amerikaner in ihre Belange einmischen, ist ein altbekanntes und allmählich leidiges Faktum. Als Sofia Coppola («Lost in Translation») im Mai dieses
Jahres in Cannes ihr spannungsvoll erwartetes Historienepos «Marie Antoinette» vorstellte, waren französische Schmährufe also so sicher wie das Amen in der Kirche. Natürlich wurde von einer
Amerikanisierung französischer Geschichte palavert, und die Präsidentin der Marie-Antoinette-Stiftung sorgte sich bereits nach Betrachtung des luftigen Trailers um den von ihrer Organisation
mühsam wieder aufgepäppelten Ruf der am 16. Oktober 1793 von den Revolutionären guillotinierten Glamour-Königin. Verkannt oder bewusst ignoriert wurde bei alledem freilich Coppolas hauptsächliche
Intention, die im Grunde alleine an dem poppig pompösen, der historischen Akkuratesse von vornherein die Spitze nehmenden Inszenierungsstil abzulesen wäre. So betont Hauptdarstellerin Kirsten
Dunst diesbezüglich denn auch, dass es hier mehr um eine Geschichte von Gefühlen denn um eine Geschichte von Fakten gehe. Es ist dies folglich kein traditionelles Biopic, sondern vielmehr Sex,
Kuchen und Rock ’n’ Roll in Versailles – wobei es zu betonen gilt, dass der Kuchen fast nur aus Glasur besteht.
Party und Power-Shopping
Inmitten einer feudal opulenten Kostüm- und Kulissenschlacht gleichsam mit der Lupe suchen muss man trotz einer bemerkenswerten Leistung von Dunst derweil die tragische Titelfigur. 14-jährig der
österreichischen Heimat entrissen und aus politischem Kalkül mit dem französischen Thronfolger Ludwig XVI. (Jason Schwartzman) verheiratet, ist Marie Antoinette erst mal ein Backfisch, der noch
kaum schwimmen gelernt hat. «Alles Österreichische» muss sie im recht schwerfälligen und wegen (zu) vieler Auf- und Abblenden erheblich rhythmusgestörten Filmauftakt zurücklassen – sogar ihr
geliebtes Schosshündchen. Wie die Kamera zunächst noch staunend ob all des Pomps und ein wenig irritiert von der höfischen Etikette, adaptiert sich die unorthodoxe Jungmonarchin jedoch bald
einigermassen an die ungewohnte Umgebung und macht mit unstillbarem Party-Hunger und zügellosem Power-Shopping schliesslich als royale Paris-Hilton-Version ihren fragwürdigen Weg. Für das Leid
der zunehmend aufmüpfigeren Bevölkerung hat sie darob ebenso wenig ein Auge wie abnehmend auch für ihren sexfaulen Gatten, der lieber auf der Jagd seinen Mann steht. Verschwenderische Dekadenz
und das Ausbleiben königlichen Nachwuchses lassen sie in der Achtung der sie unablässig auf Schritt und Tritt beobachtenden Gesellschaft unterdessen ins Bodenlose sinken, fundierte Gerüchte um
Affären tun ihr Übriges.
Leblose Ikonen
An Marie Antoinette und auch an Ludwig scheint solcherlei freilich mehr oder minder abzuprallen, gelingt es Coppola doch nicht, restlos sicherzustellen, dass sich unter den turmhohen Perücken und
der meterdicken Schminke auch tatsächlich Menschen verbergen. Letztlich bleiben die beiden leblose Ikonen, und zu sagen haben sie ohnehin nichts: Dialoge zwischen dem Paar gibt es kaum – meist
wird über sie geredet, während sich die mehr am Zeichnen eines Sittenbilds interessierte Kamera wie eine Rabenmutter von ihnen entfernt und sich in Weitwinkelaufnahmen am magischen Kostüm- und
Setdesign ergötzt. So faszinierend Letzteres auch sein mag – die in Häppchen und Krümeln gereichte Geschichte bleibt dabei in geradezu fahrlässiger Weise auf der Strecke. Umso sättigender sind da
schon die orgiastischen optischen Ausschweifungen, die lange vor dem Ende ein massives Völlegefühl hinterlassen. So hat Coppola ihr eigenes Skript als pastellbunt ausgemaltes Bilderbuch mit kaum
etwas sagenden Sprechblasen umgesetzt. Rufschädigend kritisch gegenüber der mehr ungeschickt naiv und sehr wohl mit Sympathieträgerinnen-Potenzial gezeichneten Marie Antoinette zeigt sie sich
dabei übrigens mitnichten. Selbst deren vermeintlicher Ausspruch, das Volk solle halt Kuchen essen, wenn es kein Brot habe, wird zur Freude der Historiker explizit dementiert.