Ordnung ist der halbe Tod

Die Idee ist nicht neu und der Plot eher dünn. Gleichwohl entwickelt David Finchers Thriller «The Killer» einen Sog so unwiderstehlich wie ein Techno-Stück: hart und zackig, homogen und hypnotisierend – und dabei von der für den Meisterregisseur typischen eisigen Brillanz.

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Er selbst scheint sich ja für ziemlich originell zu halten. Anders lässt sich dieses pausenlose Philosophieren über sein Tun und Wesen, mit dem er uns aus dem Off behelligt, wohl nicht interpretieren. Was dieser namenlos bleibende Profikiller (Michael Fassbender) dabei mit monotoner Stimme absondert, ist freilich leidlich bahnbrechend. Ein obsessiver Beobachter ist er also, ein zitierfreudiger Zahlenfetischist und ein penibel organisierter Kopfmensch noch dazu, er setzt auf Yoga, mag The Smith und frönt einem existenzialistischen Nihilismus; und auch wenn er sich mehr auf der skeptischen als auf der zynischen Seite sieht: Das, was er da mantramässig runterbetet – nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern viermal im Lauf der von ihm gnadenlos dominierten zwei Stunden von David Finchers «The Killer» –, sind nicht die Worte eines Mannes, dem das Wohlergehen seiner Mitmenschen ein zentrales Anliegen wäre. Zu einem Unikum jedoch macht ihn das alles noch längstens nicht – auf diese oder ähnliche Weise tickende Art- und Berufsgenossen sind uns schliesslich in weiss Gott weidlichem Mass immer wieder beliebt gemacht worden, zwischen Buchdeckeln wie auf der Kinoleinwand. Und so lauschen wir den Ausführungen des namen- und seelenlosen Killers nur halbwegs interessiert und langweilen uns sogar ein ganz klein bisschen in den ersten 20 Minuten. Doch dann ist auf einmal alles Makulatur, all die weisen Worte, die cool zur Schau gestellte Abgebrühtheit, die ganze professionelle Souveränität: dahin. Denn: «Fuck.» Und: «Das ist neu.» Der Killer hat doch tatsächlich danebengeschossen. Und jetzt, nach diesem zähen und allzu vertraut wirkenden Prolog, kommt Leben in den Film. Jetzt gehts endlich los.
 
Blitze eines überragenden Regiegeistes
 
In zackigem Takt schreitet das Geschehen alsdann voran in «The Killer», dem zweiten Netflix-Film von David Fincher nach dem Meisterwerk «Mank» und seiner insgesamt vierten Arbeit in zehn Jahren für den Streamingdienst, dem er auch bei den Hitserien «House of Cards» und «Mindhunter» seine Dienste zur Verfügung gestellt hat. Es ist nun, nach diesem ungewohnt schläfrigen Auftakt, denn auch ein waschechter David-Fincher-Film – einer zwar, der ohne die irren Twists von «Seven», «Fight Club» oder «Gone Girl» auskommen wird und letztlich auch nicht deren spektakuläre Klasse zu bieten vermag; ein Thriller jedoch, der mit der für den unbestrittenen König dieses Fachs charakteristischen eisigen Brillanz glänzt. In wie eh und je fahlem Licht präsentiert Fincher unaufgeregt seine aufgeräumten Arrangements, bei denen er wie der Killer nichts dem Zufall überlässt, alles sorgfältig und minutiös durchdacht, mit traumwandlerisch sicherer Präzision ausgeführt, ohne jegliches Fett am Knochen, keine Szene zu viel, keine Sekunde zu lang, alles immer im Fluss, in einem gleichmässigen, glatten Fluss. Ein Film wie ein Techno-Stück: hart, homogen, hypnotisierend. Ein dumpfes Bum-Bum-Bum, in das Blitze eines überragenden Regiegeistes hineinflimmern, ein runtertemperiertes Butz-Butz-Butz voller filigran komponierter Sequenzen, die sich endlich fügen zu einer spröden Symphonie in Todesmoll. Wie die besten Fincher-Filme, ach was: wie alle Fincher-Filme entfaltet dabei auch «The Killer» einen Sog, dem sich nicht widerstehen lässt, und absorbiert einen mit einer Wucht, die wohl nicht überwältigend, aber im allerbesten Sinne erdrückend ist. Und das ist natürlich schon mal eine gewaltige Leistung, die freilich noch ein wenig wundersamer wird, wenn man all die Schauplatzwechsel mit in die Rechnung nimmt, anhand derer Fincher den auf einer Graphic Novel von Alexis «Matz» Nolent beruhenden Film in Kapitel stückelt: von Paris in die Dominikanische Republik und von da nach New Orleans, Florida, New York und Chicago. Wobei es sicherlich hilft, dass Fincher nicht mal in der Karibik die Sonne wirklich scheinen und sowieso gerne zu später Stunde operieren lässt.
 
Michael Fassbender als Idealbesetzung
 
Zusätzlich angetrieben wird dieser Sog, diese Dichte, diese Homogenität vom stoischen Spiel des Hauptdarstellers: Michael Fassbender zündet hier wohl kein Feuerwerk; aber er ist die ideale Wahl für diese Rolle mit seiner harten, kalten, nüchternen Körperlichkeit, und er füllt sie mit einer Ruhe aus, die auch dann nicht ins Blasse abdriftet, wenn sein Killer trotz seinem durchaus strapaziösen Mitteilungsbedürfnis am Ende doch kaum etwas von sich preisgibt und er wider die menschliche Natur selbst in den dramatischen Spitzen mit Emotionen geizt: wenn er beim Plan bleibt und seine Liste abarbeitet, obwohl es gerade persönlich geworden ist, und wenn er die Contenance wahrt, obwohl er für einmal auf dieser erstaunlich gewalt- und actionarmen Odyssee in die Bredouille geraten ist. Ein kurzes Flackern in den Augen oder die vier Buchstaben eines Kraftausdruck genügen da denn auch, um uns in Angst und Schrecken zu versetzen und das Schlimmste befürchten zu lassen. Dass Fassbender ausser Tilda Swinton, die wie alle anderen auch nur in einem Kapitel auftritt, keine übermässig erinnerungswürdigen Mitspieler an die Seite gestellt bekommen hat, ist indes ein kleiner Wermutstropfen. Es passt das aber auch ins Bild eines Films, der rein auf das Wesentliche fokussiert und das Maximum aus seiner recht dürren Handlung und dem wenig innovativen Konzept presst: alle Augen auf den Killer und seine Mission. Für Krimskrams, Kokolores und Kabinettstückchen bleibt da kein Platz. Und das ist dann trotz allem auch ein wenig schade.