Faules Überraschungsei

Mit der reichlich unausgegorenen, vollkommen überfrachteten Tragikomödie «She Hate Me» ist der afroamerikanische Starregisseur Spike Lee einmal mehr ins Wellental zurückgekehrt.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Gesamtwerk des Spike Lee ist ein überaus inkonsistentes. Höchste Gipfel hat der afroamerikanische Regisseur mit «Malcolm X» oder «Summer of Sam» erklommen und tiefste Täler durchschritten mit Quark wie «Girl 6» oder «Bamboozled». In unschöner Regelmässigkeit lässt Lee gerade in letzter Zeit auf einen Geniestreich Dünnpfiff folgen, und so überrascht es denn auch nicht, dass nach dem meisterhaften Drama «25th Hour» nun ein Streifen kommt, der kaum etwas taugt. «She Hate Me» heisst das neue Stück, das vieles auf einmal sein will und letztlich nichts so recht ist: Tragik, Komik, Gesellschaftskritik, Erotik, Romantik – es ist von allem ein bisschen was da. Eine Wundertüte ist das, allerdings eine von denen, die bloss mit nutzlosem Tand gefüllt sind, oder vielleicht auch ein Überraschungsei, eines indes, das schon ganz übel riecht. Und was kriegt man von faulen Eiern? Richtig: Dünnpfiff.

Allerlei Abgründe

Der Vorspann von «She Hate Me» macht klar, um was es hier gehen soll: Geld. Zu sehen sind Banknoten in Grossaufnahmen, und zum Schluss, hoppla, lächelt uns auch noch George W. Bush von einem 3-Dollar-Schein zu. Düfte also auch noch eine politische Komponente haben, Spike Lees neuster kreativer Erguss. Abgründe aus wirtschaftlicher und politischer Korruption tun sich sogleich in der Ouvertüre auf: Nach dem Freitod eines von einem Pharmakonzern beschäftigten Forschers gelangt Jack Armstrong (Anthony Mackie), der junge schwarze Vizepräsident der Firma, in Besitz von Aufnahmen, worin u.a. von Insidergeschäften der Chefetage die Rede ist. Unverzüglich setzt sich der brave Jack mit der staatlichen Aufsichtsbehörde in Verbindung; mittels neuerlichen Lugs und abermaligen Trugs gelingt es den Firmenoberen (klasse: Woody Harrelson und Ellen Barkin) jedoch, Jack den schwarzen Peter zuzuschieben, worauf dieser gefeuert und dessen Guthaben eingefroren wird. Rettung naht für den dergestalt mittellos gewordenen Karrieristen a.D. in Person seiner inzwischen am anderen Ufer der sexuellen Ausrichtung angekommenen Ex (Kerry Washington) und deren Lebenspartnerin, die ihn mit einem abenteuerlichen Anliegen konfrontieren: Ein Kind wollen die beiden, und zwar je eines, und Jack soll als Samenspender fungieren, und zwar gegen ein grosszügig bemessenes Entgelt. Allen moralischen und anderweitigen Bedenken zum Trotz willigt Jack schliesslich ein – und wird fürderhin zur bestens entlöhnten Profi-Zeugungsmaschine sich nach Mutterschaft sehnender Lesben.

Unausgegorene Mischung

Wie die beiden Handlungsstränge des Films schlüssig zu verbinden sind, bleibt zunächst schleierhaft. Sinnreicher wird die Sache auch nicht, als irgendwann die Mafia ins stockende Spiel kommt und wieder zur zwischenzeitlich gänzlich ausgeblendeten Ausgangsthematik zurückgekehrt wird. Vielmehr bleibt «She Hate Me» eine unausgegorene Mischung aus unzähligen Plots und Subplots. Lee verheddert, verzettelt, verliert sich und bisweilen den Faden und verschleudert so das Potenzial seiner Story. An den zahllosen Rändern seines Films befasst er sich mit dem gebrochenen Herzen seines Helden, halbherzig mit dessen Familie, verweist auf Enron, WorldCom und gar Watergate, streift Themen wie Homophobie, prangert globale Ungerechtigkeiten in der AIDS-Medikation an und zieht auch noch die unvermeidliche Rassismus-Karte. Gerade Letzteres wirkt dann aber nur noch bemüht und bringt Lees belehrenden Gestus zum Vorschein, der allmählich mühsam wird. Ausgleich für all den Ungemach vermag Lee auch auf formaler Ebene nicht zu schaffen. Serviert wird der übliche Firlefanz aus Rückblenden, Traumsequenzen und desgleichen, der dieses Mal nur Pipifax ist und niemanden mehr umhauen dürfte. Mit einigen starken Momente wartet Lee freilich trotzdem auf, und der eher unbekannte Hauptdarsteller schlägt sich auch wacker. Welcher Teufel Lee aber geritten hat, als er den 47-jährigen John Turturro als Vater der je nach Angabe zwischen 35- und 40-jährigen Monica Bellucci besetzte, muss wie so vieles spekulativ bleiben. Dass Lee-Veteran Turturro, an sich ein sicherer Wert, auch noch eine jämmerliche Vorstellung als Paten-Verschnitt abliefert, passt indes ganz gut ins Gesamtbild. Abgerundet wird das hochgradig inkohärente Schlamassel schliesslich von einem unerträglich sülzigen Finale, das «She Hate Me» endgültig zum Tiefpunkt in Lees Laufbahn macht. Hält die Serie, dürfte dann aber das nächste Projekt wiederum einen Höhepunkt markieren: Die geplante Verfilmung eines James-Elroy-Drehbuchs mit dem Titel «The Night Watchman» hört sich jedenfalls viel versprechend an.