Mit dem Amtsschimmel gegen die Folterknechte

Das Politdrama «The Report» ist bisweilen zwar eine etwas bürokratische Sache. Dennoch entwickelt dieser Washington-Insiderbericht zu Schach und Schacher bei der Aufarbeitung von CIA-Folterpraktiken einen mächtigen Sog.

Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Das ist ein Film, der es genau nimmt. Der sein Thema ernst nimmt. Und hoffentlich auch tut er das. Denn das, worum es hier geht, dudelt keine Vereinfachungen, keine Abkürzungen. Dieses Kapitel der amerikanischen Geschichte, eines der dunkleren in jüngerer Zeit, gehört vollständig ans Licht gezerrt. Diese Vergangenheit gehört bewältigt. Dieser Schandfleck gehört ausdiskutiert. Und zwar nicht nur der ursprüngliche: wie die CIA im Nachgang zu 9/11 mit ihren «erweiterten Verhörmethoden» gegen das Folterverbot der dritten Genfer Konvention verstossen und so auch uramerikanische Überzeugungen verraten hat. Sondern auch der unwürdige politische und geheimdienstliche Schacher, der einsetzte, als sich ein Senatskomitee daranmachte, das Treiben des Geheimdiensts zu durchleuchten und Verantwortlichkeiten zu benennen. Da er dieses gut eine Dekade umspannende Ränkespiel so akkurat wie möglich schildern wollte, legte Regisseur und Drehbuchautor Scott Z. Burns «The Report» konsequenter- und couragierterweise eine nicht eben kinokompatible Quelle zugrunde: den «Senate Intelligence Committee Report on CIA Torture». Entsprechend minutiös werden all die Verstrickungen und Entwicklungen über 120 Minuten aufbereitet; und sehenden Auges nimmt der bisher zuvörderst durch seine Skripts für Steven Soderbergh aktenkundig gewordene Regiedebütant («Contagion», «Side Effects») also in Kauf, dass sein Film zu einer ziemlich pedantischen und bisweilen geradezu bürokratischen Angelegenheit gerät. Dass «The Report» dann trotzdem einen mächtigen Sog entwickelt, ist eine umso stolzere Leistung.

Immer auf Arbeit

Der Film folgt auf Schritt und Tritt dem jungen Senatsmitarbeiter Daniel Jones (Adam Driver), dem die Mammutaufgabe und Sisyphusarbeit aufgehalst wird, die Verhör- und Inhaftierungspraktiken der CIA unter die Lupe zu nehmen. Und der darüber, abgeschirmt in einem Kellerbüro eines Betonklotzes und fortwährend abgespeist mit Lügen und Dementis, allmählich den Glauben an das Gute und schliesslich die Fassung verliert. Ein Privatleben scheint dieser Jones nicht zu haben – was uns nicht nur die üblichen nichtssagenden und klischeeerstickten Szenen erspart, in denen uns aufs Auge gedrückt wird, dass der ganze Stress auch noch den Segen im Hause dieses armen Mannes in Schieflage bringt. Der Verzicht auf derlei «Zusatzkonturen» bringt uns diese von Charmebolzen Adam Driver radikal gezügelt verkörperte Figur paradoxerweise sogar näher: Indem wir mit Jones lediglich vom Büro- zum Sitzungstisch und wieder zurück hecheln, erhalten wir eine weit bessere Vorstellung von der Mühsal und Frustration, die er erdulden muss, als wenn er sich daheim mit der Freundin zoffen würde. Und es tut der Faszination halt keinen Abbruch, dass er auf seinem Ritt auf dem Amtsschimmel durch den Washingtoner Dschungel lauter interessante Menschen trifft: etwa die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein (Annette Bening), den nachmaligen Obama-Stabschef Denis McDonough (Jon Hamm), den Anwalt Cyrus Clifford (Corey Stoll), CIA-Direktor John Brennan (Ted Levine), den Geheimdienstler Thomas Eastman (Michael C. Hall) oder einen namenlos bleibenden «New York Times»-Reporter (Matthew Rhys). Dass diese wiederum von derart versierten Mimen gespielt werden, ist dann natürlich grad nochmals ein dicker Bonus.

Mitnichten leidenschaftslos

Was all diese Menschen hier tun, ist reden. Blitzgescheit palavern, notabene. Nicht aber in oberschlauem Stakkato rhetorisch aus allen Rohren feuern. Das würde so gar nicht zu diesem Film passen, der vor allem eines nicht ist: schrill. Was er sich zumal in der ersten Hälfte mitunter gönnt, ist derweil eine gewisse Hektik, eine fahrige Fiebrigkeit, wenn er zappelig auf der Zeitachse vor- und zurückzappt und mit Nahaufnahmen und Wackelkamera hantiert. So richtig Fahrt nimmt «The Report» freilich erst auf, wenn Burns damit Schluss macht – wenn der Report fertig ist und die Politik ins Spiel kommt; wenn es ums Aufarbeiten geht, um die Vertuschung, die Konsequenzen; wenn Jones die Grenze der Belastbarkeit überschreitet und doch noch emotional wird. Nun wird auch offensichtlich, dass dieser so trocken und mit seiner bläulich getönten Digitaloptik so kühl wirkende Film mitnichten leidenschaftslos und auch nicht unparteiisch ist. Burns zeigt indes, dass man nicht laut und dramatisch werden muss, um seine Wut zu artikulieren. Und selbstredend ist er auch in seiner kontrollierten Entrüstung noch um Vollständigkeit bemüht. Die Desinformation und der Zynismus der Geheimdienstler; die Wortklauberei der Juristen; der Kleinkrieg zwischen FBI und CIA; die verletzte Gewaltentrennung; die Störmanöver der Republikaner; das Polit-Schach der Demokraten; Bushs Ahnungslosigkeit; Cheneys Hinterzimmer-Tricks; Obamas Weigerung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen: Alles kommt auf den Tisch und an den Pranger. Bei aller Washington-Insiderei entsinnt sich Burns hie und da aber doch auch klassischster Hollywood-Mechanismen: Ein konspiratives Treffen in einer Tiefgarage? Immerhin dieser Standard muss dann schon noch sein. Ist ja schliesslich immer noch Kino. Ziemlich grosses sogar.