Verliebt in die Göttin in der Maschine

In «Her» lässt Regiezauberer Spike Jonze allen Ernstes und voller Romantik Joaquin Phoenix ein Computer-Betriebssystem lieben. Und wir kaufen ihm das noch so gerne ab.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist ein seltsamer Job, den Theodore (Joaquin Phoenix) da hat. Andererseits ist Theodore der Held der neusten Spinnerei von Regiezauberer Spike Jonze, und der hat ja schon mal Leute in den Kopf von John Malkovich entsandt. Im Vergleich dazu ist das also noch halbwegs koscher, was Theodore in «Her» zum Broterwerb betreibt: Er ersinnt für seine Kunden schöne Worte an deren Liebste und diktiert sie in einen Computer. Was dieser Sonderling mit Schnauz und Brille freilich mit einem anderen Rechner so treibt, ist dann schon wieder mehr von jonzescher Extravaganz: Er verliebt sich in ihn. Oder genauer: in sein Betriebssystem. Das klingt absurd, und es ist das natürlich auch. Aber letztlich auch wieder nicht so sehr. Denn zum einen verfügt dieses Betriebssystem über eine künstliche Intelligenz, Einfühlungsvermögen und eine Persönlichkeit, ist schlau, charmant und spassig, quasi die gutgesinnte Enkelin von Kubricks HAL, die wohlgeratene Cousine von Apples Siri. Und zum anderen hat es die Stimme von Scarlett Johansson – diese rauchig-erotische Stimme, die noch den solidesten Zeitgenossen zu Unvernünftigem verleiten vermag. So wie etwa die Juroren des Filmfestivals von Rom, die Johansson für ihre vokalen Vorzüge im November tatsächlich den Darstellerpreis zusprachen.

Es fühlt sich echt an

Was diese Beziehung zwischen Mensch und Maschine aber so wirklich und wahrhaftig macht, sind der heilige Ernst und die herzliche Romantik, die Jonze ihr angedeihen lässt. Da ist keine komische Brechung, keine moralische Mahnung, keine futuristische Relativierung – da ist nur Liebe. Sicher gibt es bisweilen etwas zum Schmunzeln und leichte Turbulenzen; natürlich malt Jonze das technologieskeptische Szenario von der sozialen Isolation und des Rückzugs in Scheinwelten an die Glaswände; und selbstredend steht dieses in milchig-helle Farben getauchte Los Angeles, das teils von Shanghai gedoubelt wird, irgendwo in der näheren Zukunft. Aber Jonze lässt sich diese Liebesgeschichte für das 21. Jahrhundert davon nicht klein machen. Für ihn und für eigentlich alle Figuren in «Her» ausser Theodores Ex (Rooney Mara) ist es denn auch keineswegs so abwegig, dass sich Menschen in ihr Betriebssystem verlieben. Nur anfangs hat Theodore noch Hemmungen, über seine – notabene sogar sexuelle – Beziehung zu «Samantha» zu sprechen; doch dann tun es ihm irgendwann so viele gleich, dass seine Freunde (u.a. Amy Adams) nicht mit der Wimper zucken, wenn er zum Doppel-Date seine Göttin in der Maschine bringt. Für ihn, den Ersatz-Briefonkel, der «ein kleines Loch» in seinem Herzen hat, fühlt sich diese Stellvertreter-Frau eben echt an. Fühlt sich das alles real an. Und für uns dann auch. Spätestens wenn der ehedem so trübselige Theodore wach geküsst ist; wenn «Samanthas» Wunsch, auszubrechen und die Welt zu entdecken, auf eine gewisse Weise wahr geworden ist; und wenn die Beziehung der beiden konkret und also kompliziert wird.

Geschlossener Kosmos

Nie gewichen ist indes diese Melancholie, die über dem Geschehen liegt – nicht unangenehm freilich, nicht erdrückend, sondern mehr wie ein Schleier, der auch ein Schutz sein könnte vor dieser milden Form der Anit-Utopie. Ein bisschen schläfrig mutet das an, aber auch sehr geschmeidig, zumal der langjährige Videoclipfilmer Jonze bei seinem ersten Spielfilm mit (mehr oder weniger) richtigen Menschen seit zwölf Jahren nur sporadisch auszuckt. Das geht zwar im Vergleich zu den beiden Vorgängern «Being John Malkovich» und «Adaptation» ein wenig auf Kosten der Eigentümlichkeit; aber dafür ist «Her» ein unerwartet reifer Film voller Poesie. Den Golden Globe und den Oscar für das beste Originaldrehbuch gab es dafür, obendrein eine Oscar-Nominierung als bester Film. Und das ist redlich verdient. Zumal Jonze hier ein beträchtliches Wagnis eingegangen ist. Der Absturz indes ist ausgeblieben. Stattdessen erweist sich dieses in sich sehr geschlossene System der Substitutionen als höchst stabil. Und wiewohl Jonze in seinem atmosphärisch und logisch so dichten Kosmos auch Zukunftsängste provoziert, ist das doch wieder ein bezaubernder und berauschender, sicher unvergleichlicher, sicher unvergesslicher Trip.