Als das Lachen plötzlich verstummte

Im Familiendrama «Fai bei sogni» ist die elegante Klasse von Altmeister Marco Bellocchio jederzeit spürbar. Zu vereinnahmen vermag der nachdenkliche Film gleichwohl nicht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Eben noch tanzten sie. Und strahlten sie. Und lachten sie. Aber dann wird es dunkel an diesem Dezembertag im Jahr 1969. Schlafenszeit. «Fai bei sogni», träum schön, haucht die Mamma (Barbara Ronchi) ihrem Massimo (Nicolò Cabras) noch ins Ohr. Und dann wird sie für immer aus seinem Leben verschwinden. Als der Knirps das nächste Mal erwacht, ist es nach wie vor Nacht, und die Sonne wird für ihn nicht mehr aufgehen. Der Vater (Guido Caprino) schlurft stumm zur Tür. Um zum Krankenhaus zu fahren, wie sie Massimo sagen, zur Mamma. Einen plötzlichen Herzinfarkt habe sie gehabt, sagen sie ihm später noch, doch wir wissen das besser. Uns, den Erwachsenen, zeigt man, wie es wirklich ist: dass es da noch einen anderen Pol gab zum Tanzen und Strahlen und Lachen; eine so düstere und so traurige und so hoffnungslose Seite, dass die Mutter nicht mehr umhinkonnte, das zu tun, was Mütter nie tun dürfen: ihr Kind zu verlassen. Massimo wird daran sein Leben lang leiden.

Der Tod als Begleiter

An gut gemeinten Ratschlägen wird es Massimo freilich nicht mangeln. Doch Regisseur Marco Bellocchio («Buongiorno, notte»), der Massimo Gramellinis  Autobiografie «Fai bei sogni» zu zwei Stunden Kino verdichtet hat, ist auch mit 77 Jahren noch nicht gut zu sprechen auf Autoritäten. Eine nach der anderen lässt er sie denn auch am störrischen Kind auflaufen. Dass seine Mutter jetzt im Himmel sei, wie der Prediger meint, quittiert Massimo mit einem Wutanfall. Dass er stark sein solle, wie man ihm in der Schule sagt, ruft bloss Ratlosigkeit hervor. Und auch der Vater trägt kaum mehr als ein hilfloses «forza!» bei; ansonsten sind da Strenge und Stille. Seiner Trauer Herr zu werden, sie zu verarbeiten, das schafft der Bub so naturgemäss nicht. Wenigstens Trost findet er im Fernsehen, der immerzu läuft und wo Raffaella Carrà fröhliche Lieder singt, italienische Olympioniken ins Wasser tauchen und ihm der Bösewicht Belfagor mächtig Eindruck macht. Und Halt gibt ihm der Fussball, namentlich der FC Torino, dessen Stadio Olimpico er vom Balkon aus sieht – natürlich «Toro», dieser tragischste aller Klubs, der 1949 sein komplettes Wunderteam, «Il Grande Torino», beim Flugzeugabsturz von Superga verloren hatte und über dem für immer ein Schleier liegen wird. Der Tod also, das Leid ist Massimos steter Begleiter und wird es auch bleiben, als er später, nun mit leerem Blick gespielt von Valerio Mastandrea, als Journalist wirkt und etwa ins kriegsversehrte Sarajevo reist. Das sind dann eindrückliche Szenen, meisterhaft inszeniert, voller versteckter Bedeutung; doch es sind isolierte, Tableau-hafte Sequenzen, die um das stets selbe Trauma kreisen: den Verlust, der nie aufzuwiegen sein wird. Diese Klammer hält den popkulturberieselten und historiedurchströmten Film zwar zusammen; die Lücken dazwischen aber machen einem zu schaffen und verhindern, dass man sich an Bellocchios Meditation über die Trauer abarbeiten würde. Denn was im Kleinen funktioniert, versagt uns das grosse Ganze: die emotionale Erschütterung.

Ohne Dringlichkeit

«Gefühle sind nicht meine Stärke», sagt Massimo. Und eine emotionale Distanz wahrt auch Bellocchio in «Fai bei sogni»; es spiegelt sich in seiner klassisch eleganten Inszenierung, deren Farben so gedämpft sind wie Massimos Stimmung, also das Innenleben des Protagonisten – was immer eine schöne Sache ist, eine Form der Meisterschaft und was uns diesem sonst näherbringt, uns involviert. Hier aber liegt es in der Natur der Sache, dass es dies gerade nicht tut – ein Paradox, das auch Bellocchio mit seinen 50 Jahren Kinoerfahrung nicht aufzulösen vermag. Dass ihm nicht mehr gelingt, ist trotzdem ein wenig rätselhaft. Denn wiewohl sein Film bisweilen behäbig und beliebig erscheint: Näher betrachtet erweist er sich als präzis, bewusst, fokussiert – es ist da nichts drin, was Bellocchio nicht drinhaben möchte. Doch ein Ton, dem im bedächtigen Tempo die Dringlichkeit fehlt, und ein Star, der neben der spät als Massimos Tesoro auftretenden Bérénice Bejo und deren die Mutter evozierender Energie einseitig matt wirkt, lassen vieles ins Leere laufen. Wenn Massimo am Ende das Rätsel um den Tod der Mamma löst – das für uns nie ein Rätsel war –, bleibt er denn auch allein mit seiner Wut und der möglichen Erlösung. Und dann lässt Bellocchio darauf noch eine Schlussszene folgen, die so berührend, so überwältigend ist, dass wir gleichwohl erkennen müssen, ja anerkennen dürfen, dass hier unverkennbar ein Meister am Werk war.