Auf ewig verbunden, für immer eingeschnürt

Die Literaturadaption «Lacci» schildert aus verschiedenen Perspektiven und auf mehreren Zeitebenen das Drama einer neapolitanischen Familie, in der Loyalität wichtiger ist als Liebe. Das ist bisweilen harte Kost, liegt aber nicht bleischwer im Magen.

 Cineworx

von Sandro Danilo Spadini

Dass sich der erste der drei komplex ineinander verwobenen Teile von Daniele Luchettis Bestsellerverfilmung «Lacci» nicht in unserer Gegenwart abspielt, das lässt sich natürlich schon an der formvollendeten Ausgestaltung von Set und Farbgebung, Gewand und Frisuren ablesen. Geradeso deutlich ist das freilich daran zu erkennen, auf welche Weise Aldo (Luigi Lo Cascio) hier seiner Gattin Vanda (Alba Rohrwacher) gesteht, dass er mit einer anderen geschlafen hat. Es sei einfach passiert. Und ja: «Ich weiss, es ist nicht nett. Aber ich wollte, dass du es weisst.» Zack! So hat man das in den frühen Achtzigern, in denen diese Szene spielt, gemacht. Basta! Und als sie ihm dann erklärt, sie wisse jetzt gar nicht, wie sie sich verhalten solle, ob sie ihm verzeihen oder ihn anschreien solle, da reagiert er bereits genervt und bescheidet ihr, sie mache eine lächerliche Szene. Das wird ihm nun doch zu viel – ihm, diesem verschlossenen, abwesenden, gelangweilten Intellektuellen, der bei der Rai in Rom im Radiostudio arbeitet und nur sporadisch zu Hause in Napoli bei Vanda und den beiden Kindern Anna und Sandro vorbeischaut. «Ein bisschen, bisschen berühmt» sei er, sagt er einmal zu den Bambini, und man merkt, dass ihn das schon ein bisschen, bisschen stolz macht; vielleicht, weil es ihn davon ablenkt, dass er am Ende einfach nur ein Feigling und Schwächling ist, ein Mann seiner Zeit halt auch, ein Mann schliesslich, der sich ein wenig überschätzt und nicht so spannend, nicht so intellektuell ist, wie er sich das wünscht, und viel schäbiger und viel banaler ist; im Grunde: ein kleiner Mann. Unsere Sympathien hat Aldo da, zu diesem ganz frühen Zeitpunkt, jedenfalls schon verspielt. Fragt sich bloss: Ob er sie zurückgewinnen kann in den kommenden anderthalb Stunden? Man kann sich das jetzt gerade schlecht vorstellen, doch unmöglich scheint es nicht, denn in den (Familien-)Filmen von Daniele Luchetti ist schliesslich nichts nur schwarz oder nur weiss; Luchetti schätzt nicht das Laute und Grelle, sondern die Zwischentöne und Grauzonen, jene Orte also, wo alles etwas verworrener ist, wo sich mit anderen Worten das echte, das reale Leben abspielt.

Pochen auf den Pakt

Das ist in «Lacci», dem italienischen Cousin des Oscar-prämiertem US-Dramas «Marriage Story», nun nicht anders als in Luchettis gelungeneren Werken wie «Mio fratello è figlio unico» (2007) und «La nostra vita» (2010) oder wie zuletzt im TV-Mehrteiler «L’amica geniale» (2018). Und so hat Vanda zwar längst durchschaut, dass ihr Aldo nicht wirklich der imposante Leader ist, dem sie einst nach Napoli gefolgt war, obwohl sie dort niemanden kannte. Und so richtig geliebt habe sie ihn sowieso nie, meint sie alsdann in dem 30 Jahre später angesiedelten und nun von Laura Morante und Silvio Orlando in den Hauptrollen bestrittenen Mittelteil. Aber die Wahrheit ist eben auch, dass an ihr, dieser labilen, durchaus derangierten Nörglerin, schon gar nichts bemerkenswert ist und dass sie auch ihren Teil dazu beiträgt, dass diese Familie so furchtbar dysfunktional ist. Für Vanda ist die Sache nun mal klar: Sie hätten damals, als sie eine Familie gründeten, «einen Pakt» gemacht; es sei das jetzt darum keine Frage der Liebe, sondern eine Frage der Loyalität. Und das ist denn auch der springende Punkt hier in dieser Verfilmung von Domenico Starnone 133 Seiten schmalem Feuilleton-Darling von 2014: diese unauflöslichen Bindungen, wie sie schon im Titel – «lacci» heisst Schnürsenkel – anklingen. Es geht hier mithin um das, was uns verbindet – zum Guten wie zum Schlechten. Was uns zusammenschweisst. Oder wie in Aldos und Vandas Fall: was uns aneinanderkettet, sobald wir diesen Pakt eingegangen sind; was uns einschnürt in ein Leben, das wir doch gar nie gewollt haben; und was uns endlich die Luft, die Lust abschnürt.

Überragendes Ensemble

Es ist ein etwas unorganisiertes Skript, das Luchetti da mit Starnone verfasst hat. Aber das passt irgendwie gar nicht schlecht zu dem emotionalen Chaos, in das wir hier reingezogen werden und das wir aus wechselnden Perspektiven mal als passive Beobachter verfolgen und dann wieder aus intimer Nähe mitmachen. Indes ist das keine Amour fou, die Aldo und Vanda durchleben und durchleiden: Diese Liebe nämlich, so es denn je eine war, ist nicht verrückt, sie ist verkehrt. Das wird schon anfangs mehr und mehr offenkundig und im Mittelteil endlich zur trostlosen Gewissheit. Nun, da Aldo und Vanda im Herbst ihres also doch noch zusammen und halbwegs schadlos absolvierten Lebens stehen, nach wie vor gefangen in den ewig gleichen Mustern, ist es an der Zeit, eine ernüchternde Bilanz zu ziehen: Es gibt da, nach all den Jahren, zwar Vertrautheit, das ist ja klar. Einen Rest von Herzlichkeit wohl auch. Vor allem aber ist da Erschöpfung. Und Bedauern. Über verpasste Chancen. Über ein verpasstes Leben. Die mittels Rückblenden verhandelte Frage nach der Lebenslüge, danach, ob es richtig war, ob sich das gelohnt hat – sie muss derweil gar nicht ausdiskutiert werden; Aldos matte Augen und Vandas flackernder Blick sprechen Bände. Und dann sind da ja noch die Kinder, an die wieder mal niemand denkt und die auch der Film lange zu vernachlässigen scheint. Ihnen wird aber im Schlussteil das Wort gegeben, in Person von Giovanna Mezzogiorno und Adriano Giannini als Anna und Sandro, die wie alle Darsteller hier eine «bella figura» machen. Ihnen ist denn auch eine feine finale Pointe vorbehalten, so wie es zuvor vornehmlich die Szenen mit den beiden Kindern waren, die Gefühle ins uns weckten. Keine Frage: Es ist das bisweilen harte Kost, die Luchetti in meist gefasster, fast klinisch distanzierter Manier serviert; doch allzu schwer im Magen liegt sie nicht. Denn «Lacci» ist wohl ein Film, in dem Probleme gewälzt werden; ein Problemfilm ist das aber nicht. Zumindest fühlt es sich nicht so an. Weil Luchetti das mit einer gewissen Leichtigkeit inszeniert und dem bleiernen Geschehen ein sonniges Ambiente entgegenstellt. Geradezu tröstlich ist das. Und recht eigentlich auch nötig, um diese Dauerkrise durchzustehen.