Schwedischer Eisberg vs. New Yorker Vulkan

Jetzt haben auch die Kontinentaleuropäer ihren grossen Sportfilm: Packend bebildert und spannend erzählt, lässt die schwedische Produktion «Borg McEnroe» den Wimbledon-Final von 1980 erbeben.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es sei das Spiel, welches das Tennis unwiederbringlich verändert habe, heisst es in der ein wenig geschwätzigen Einblendung vor dem ersten Aufschlag von «Borg McEnroe» – einem Film, der vielleicht nicht gerade das kontinentaleuropäische Kino unwiederbringlich revolutionieren wird, der aber gleichwohl etwas Singuläres darstellt: einen Sportfilm amerikanischen Zuschnitts, voller Action und Dramatik, getragen von überlebensgrossen Figuren und zum Fliegen gebracht mit einem Schuss Pathos. Und so ein bisschen Pathos, das steht dem Sport ja doch ganz gut an, jedenfalls wenn er uns da von der Leinwand herab seine Historie näher, ganz, ganz nah bringen will. Es heisst denn in selbiger Einblendung auch noch, es sei dies das Spiel gewesen, das die beiden daran beteiligten Männer zu anderen gemacht habe: den Schweden Björn Borg, Weltranglistenerster, Titelverteidiger, pathologisch perfektionistischer Gentleman – der «Ice-Borg», der sich kaum je aus der Reserve locken lässt und cool von der Grundlinie das Geschehen diktiert. Und den New Yorker John McEnroe, 21-jähriger Herausforderer und designierter Thronfolger – das «Superbrat», der Über-Bengel, der mit seinen Wutausbrüchen die Hüter des guten Tennisgeschmacks in Rage und mit seinem aggressiven Angriffsspiel seine Gegner in die Bredouille bringt. Im Sommer 1980 strebt Borg nun also seinen fünften Wimbledon-Titel in Serie an, wodurch er, abermals gemäss Einblendung, zum grössten Spieler aller Zeiten würde (was wiederum ein Rod Laver womöglich anders sähe). Und das, so ist man sich einig, kann nur über den Vulkan McEnroe gehen, seinen laut Journaille «schlimmsten Albtraum».

Überflieger im goldenen Käfig

«Borg McEnroe», geschrieben von Ronnie Sandhal und inszeniert vom Dokumentarfilmer Janus Metz, ist eine schwedische Produktion; und es ist da wohl legitim oder immerhin verständlich, dass man sich hier ein bisschen mehr für den Landsmann Björn Borg (Sverrir Gudnason) interessiert. Man geht zur Erkundung der Psyche zwar auch bei McEnroe (Shia LaBeouf) bis in die Kindheit zurück; zeigt den Knallkopf, der später vor Spielen im Ramones-Shirt mit dem Lebemann Vitas Gerulaitis (Robert Emms) in der Disco rumlümmelt, als Intelligenzbestie, die vom Papa vorgeführt wird wie ein Zirkusaffe (woran John durchaus Schaden zu nehmen scheint). Aber es ist der mit 24 Lenzen wenigstens auf dem Papier noch junge Schwede, den man gründlich zu analysieren sucht: den Überflieger im goldenen Käfig, dem der Starrummel arg zusetzt. Unterprivilegiert aufgewachsen, ist Klein Björn ein Hitzkopf, der «alle beschämt». «Man sagt, du seist nicht richtig ihm Kopf», kriegt er zu hören. Und: «Tennis ist kein Sport für alle Schichten.» Kein Wunder, wird so einer, nachdem er von seinem Coach (Stellan Skarsgård) endlich gebändigt und regelrecht umgepolt worden ist, zum Melancholiker, der im Zenit seiner Karriere seine Verlobte (Tuva Novotny) fragt: «Wann haben wir aufgehört, Spass zu haben?» Zum Grübler, der daheim auf dem Balkon in Monte Carlo leeren Blickes über den Rücktritt sinniert (den er im Jahr darauf tatsächlich bekannt gibt). Zum Zweifler endlich, der fürchtet, dass sich die Leute trotz seiner vier Wimbledon-Titel am Ende nur an sein Versagen erinnern, sollte er McEnroe unterliegen.

Was ist da los?

Was der Film damit – stets unterhaltend und trotz Ausflügen in die Sportküchenpsychologie gar nicht unclever – zeigt: dass diese scheinbaren Gegensätze so verschieden gar nicht sind. Das wird dann auch im Verlauf des Turniers offenbar, wo beide bisweilen ihre Sympathien aufs Spiel setzen: McEnroe, der fürs Siegen hässlich wird und seinen Freund und Kollegen Peter Flemming (Scott Arthur) verprellt; Borg, der ab dem Viertelfinal seine Coolness verliert und seinen Coach ebenso wie seine Verlobte brüskiert. Und als der allseits herbeigehoffte Traumfinal Realität wird, ist die Spannung, ist die Anspannung kaum mehr auszuhalten. In Bildern, die auch Tennisaficionados goutieren dürften, hämmert Regisseur Metz das Auf und Ab dieses legendären Schlagabtauschs Ass um Return, Break um Rebreak, Satz- um Matchball ins sporthistorische Bewusstsein zurück, nach allen Regeln der Kinokunst, ganz so wie das vor ihm Ron Howard in der Formel-1-Fehde «Rush», Stephen Frears in der Lance-Armstrong-Saga «The Program» und all die Amerikaner in ihren 
Box-, Baseball- und Footballgemälden getan haben. «Was ist da los?», fragt der schwedische Reporter im vierten Satz von Sinnen. Und wir teilen seine Fassungslosigkeit voll und sind nicht minder begeistert.