Das Leben vor der Revolution

Das Roadmovie «Diarios de motocicleta» gewährt einen bildgewaltigen Einblick in die Seele Südamerikas und in die Identitätssuche eines jungen Mannes, der Geschichte schreiben wird: Che Guevara.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein Film über Che Guevara, Ikone linksintellektueller Ideologie, Marihuana-geschwängerter adoleszenter Sozialromantik, Pin-up-Boy sich politisierender Rebellen-Teenies und nicht zuletzt sinnentleertes Abziehbild der mit seinem Konterfei Millionen scheffelnden Modebranche. Ein Film über Che Guevara also, die legendären Stationen seines Lebens einfangend, seine politischen Reden, sein Wirken an der Seite Castros, die Revolution, seine Ermordung 1967 in Bolivien. Vielleicht eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Tun anzettelnd, womöglich die Berechtigung seines Kultstatus infrage stellend oder aber undifferenziert, verklärend, schwärmerisch sich bedingungsloser Verehrung hingebend – in jedem Falle aber Diskussionen auslösend. Ein Film über Che Guevara. All dies ist «Diarios de motocicleta» nicht. Dies ist vielmehr ein Film über Ernesto Guevara de la Serna, genannt «Fuser», 23-jährig, Medizinstudent mit Spezialgebiet Lepraforschung, im Jahre 1952 mit seinem besten Freund Alberto Granado auf einem klapprigen Motorrad quer durch Südamerika reisend und noch sehr weit davon entfernt, die politische Welt zu verändern.

Heitere erste Hälfte

Basierend auf Guevaras Aufzeichnungen und Granados Buch «Mit Che durch Südamerika», hat der Brasilianer Walter Salles («Central Station») kein Biopic gedreht, sondern ein Roadmovie über Freundschaft, über Südamerika, über einen jungen Mann auf Identitätssuche. Dass aus diesem jungen Mann später einmal einer der wichtigsten Revolutionsführer des 20. Jahrhunderts werden wird, tut dabei über weite Strecken wenig zur Sache. Gleichwohl markierte diese Reise für Guevara den wohl entscheidenden Wendepunkt; denn erst die auf diesem mitunter recht chaotischen Trip gewonnenen Eindrücke haben ihn so richtig politisiert, sensibilisiert für die sozialen Ungerechtigkeiten in Südamerika. Den Prozess dieser Bewusstseinsveränderung macht Salles indes nicht restlos befriedigend sichtbar. Überhaupt – und dies ist neben den teils gar schwülstigen Kommentaren aus dem Off die einzige Schwäche des Films – bleiben die beiden Hauptfiguren seltsam flach, die Dialoge unerwartet unergiebig und die freundschaftlichen Bande zwischen dem ernsten Ernesto und dem jovialen Alberto nur schemenhaft erkennbar. Insbesondere in der ersten Stunde gibt sich der Film recht unbefangen, lebt in hohem Masse von Komik, Slapstick und gar ein wenig Romantik. Nichts deutet hier auf die Entwicklung hin, die dieser wohl überdurchschnittlich intelligente, aber im Grunde unscheinbare junge Mann dereinst nehmen wird. Ins Bild gesetzt wird Guevara vor allem als abenteuerlustiger, lebensfroher Jüngling, dessen Suche nach sich selbst noch nicht richtig begonnen hat.

Reicher Film

Überzeugend gespielt wird dieser bartlose Ernesto Guevara von Latino-Shootingstar Gael García Bernal, der für diese Rolle bereits vor zwei Jahren in der TV-Miniserie «Fidel» geübt hat. Seinen grossen Auftritt hat Bernal allerdings erst in der zweiten Spielhälfte, wenn allmählich die idealistische Entschlossenheit durchdringt, die Guevara später zu seinen politischen Anstrengungen treiben wird. Hier nun ist auch der Film selbst an einem Wendepunkt angekommen: Die Roadmovie-Idee wird aufgegeben zugunsten einer eingehenderen Erkundung der Seele Südamerikas, die zuvor in erster Linie durch optisch (höchst ansprechend) vermittelte, bisweilen bildgewaltige Eindrücke verfolgt wurde. Auf den letzten Stationen in Peru, beim von Salles gleichsam dokumentarisch eingefangenen Kontakt mit entwurzelten Indios und während seines Aufenthalts in einer Lepra-Krankenstation, erfährt Ernesto denn auch seine eigentliche Wandlung. Nichtsdestotrotz bewahrt sich «Diarios de motocicleta» bis zum Schluss eine gewisse entspannte Heiterkeit, weshalb letztlich das Bild eines höchst homogenen Werks entsteht. Ein Werk überdies, das ungemein reich ist, reich an Impressionen, Bildern, Episoden, sodass es beim Abspann schwer fällt, zu glauben, dass erst zwei Stunden vergangen sind. Und wer sich mehr für Che als für Ernesto Guevara interessiert, muss sich auch nicht grämen, sondern sich nur ein wenig gedulden: In nicht mehr allzu ferner Zukunft wird Steven Soderbergh die Dreharbeiten zum Biopic «Che» aufnehmen, mit Benicio Del Toro als Guevara, wie man ihn von den T-Shirts her kennt.