von Sandro Danilo Spadini
Über Sinn und Unsinn dieses Streifens lässt sich gewiss streiten. Schliesslich wurde Charlotte Brontës viktorianische Liebesmär «Jane Eyre» bereits mehr als 20-mal verfilmt, erstmals vor hundert
Jahren, letztmals vor fünf Jahren fürs Fernsehen. Anschauen sollte man sich diese neuste Filmversion von Brontës Debütroman aus dem Jahr 1847 gleichwohl unbedingt – wenn nicht aus Interesse am
Stoff, so doch zumindest zweier noch nahezu unbekannter Namen wegen: Cary Fukunaga und Mia Wasikowska. Ersterer ist 34-jährig, stammt aus Kalifornien und inszeniert hier nach dem Sundance-Sieger
«Sin Nombre» seinen zweiten Langspielfilm; Letztere zählt 21 Lenze, ist Australierin und spielt hier wie schon in Tim Burtons «Alice in Wonderland» die Titelrolle. Und beide sind mit reichlich
Talent gesegnet.
Wenige Worte
Dezent musikalisch begleitet und mit der Linse meist einen Höflichkeitsabstand zu seinen Figuren wahrend, nähert sich Fukunaga dem Drama auf Zehenspitzen und mit Samthandschuhen. Was dessen
Umsetzung im Drehbuch von Moira Buffini («Tamara Drewe») angeht, gilt das derweil nur begrenzt. Die renommierte englische Theaterautorin hat Brontës Schinken arg getrimmt und stark fragmentiert
und bedient sich erstaunlich weniger Worte und dafür spannungssteigender Rückblenden, um diese Leidensgeschichte der Leidenschaft zu entfalten. Belassen hat Buffini dabei das Feministische der
Vorlage, und betont hat sie – ganz trendig – die gotischen Elemente. Mit «Twilight» und dergleichen hat dieser Kampf einer jungen Frau gegen bisweilen unheimliche Unbilden freilich trotzdem wenig
gemein. Die Latte ist hier – selbstredend – höher gelegt. Und die Dramatik ungleich exquisiter. «Ich werde sterben» sind die ersten Worte, die Wasikowskas formvollendet verkörperte Jane bei
Fukunaga spricht. Das wird sie zwar nicht; doch bereits ist man ergriffen vom Los der elternlosen Gouvernante, wenn sie fliehend vom ominösen Landsitz Thornfield Hall in der Obhut eines jungen
Geistlichen (Jamie Bell) landet. Dort wird Jane erst mal genesen und von ihrer Kindheit bei der bösen Tante (Sally Hawkins) und in der brutalen Mädchenschule berichten. Eine halbe Stunde lassen
uns Buffini und Fukunaga mit dieser mutigen und zugleich bescheidenen Jane, bevor sie den männlichen Helden einführen: Edward Fairfax Rochester (stark: Michael Fassbender), der Herr von
Thornfield Hall, ist wohl nicht gerade ein Vampir, aber sicher «äusserst phantomhaft», wie Jane bemerkt. Überaus launisch ist er obendrein, dies indes aus gutem Grund, wie wir noch erfahren
werden. Einstweilen werden wir aber im Diffusen belassen und wissen nur, dass er «einen kapitalen Fehler» mit sich herumträgt. Dessen Folgen sind wieder diffus – und verantwortlich für den
dominanten mysteriösen Gestus dieser eigentlich monumental romantischen Geschichte.
Das Licht und die Farben
Ja, mysteriös ist Fukunagas «Jane Eyre». Und
kalt, eiskalt schaut der Film mit seinen matten, ausgewaschenen Farben und all den bleichen, ätherischen Mädchen aus. Dies bereits im Auftakt mit Janes Taumeln durch das windige, neblige Moor.
Und noch dann, wenn sich Jane und Rochester schon ganz nahe kommen und sie von ihm weicht mit den folgerichtigen Worten: «Mir ist kalt.» Uns freilich lässt diese so meisterhaft auf die Leinwand
gehauchte Kälte mit ihren schaurigen Schauwerten warm ums Herz werden. Etwa bei den wuchtigen Weitwinkelaufnahmen der nordenglischen Landschaft, zu denen Fukunaga seinen höchst mobilen Kameramann
Adriano Goldman so oft animiert. Wunderschön sind auch die inszenatorischen Sperenzchen, wie sie Werken (über)motivierter Jungregisseure eigen sind. In «Jane Eyre» sind sie nicht brotlose Kunst,
sie sind schlicht Kunst. Und bestechend ist schliesslich das Spiel mit dem Licht und den Farben – gerade auch dann, wenn das Eis zwischen Jane und Rochester endlich gebrochen ist und die Sonne
strahlt und die Farben wärmer werden. Ohnehin ist hier das stete Bemühen auszumachen, der schon so oft erzählten Geschichte visuell Eigenständiges abzugewinnen. Auch damit verdient sich die
neuste «Jane Eyre»-Version vollauf ihre Daseinsberechtigung.