Ironie ist, wenn man es trotzdem macht

«Coup de chance» ist Woody Allens fünfzigster und womöglich letzter Film. Es wäre das ein gar nicht mal so antiklimaktischer Abschluss seiner grossen Karriere – auch dank eines sehr charmanten französischen Ensembles.

Zar Amir-Ebrahimi im Film Holy Spider

Frenetic

von Sandro Danilo Spadini

Noch einmal Paris also. Ein zweites und letztes Mal die Stadt der Liebe soll es sein für den Abschluss, der hoffentlich ein krönender sein wird, oder wenn nicht das, so doch immerhin ein versöhnlicher, und der in jedem Fall weit erquicklicher ausfallen möge als das, was in der letzten Zeit so bei ihm auf dem Menüplan stand, beim guten alten Woody Allen, dem die wieder aufgewärmten Querelen um seine Person allmählich auch ein wenig aufs Œuvre zu schlagen drohten. Anders freilich als beim charmanten Scharwenzeln in «Midnight in Paris» (und beim Kurztrip in «Everyone Says I Love You») ist das Pariser Exil des nunmehr 88-Jährigen diesmal, bei seinem nach eigener Aussage vermutlich letzten Film, wohl nicht nur freiwillig gewählt; dafür haben die gottgesandten Richter und fuchsteufelswilden Henker der Cancel-Culture schon zu sorgen gewusst. Aber am Ende haben sie ihm vielleicht sogar einen Gefallen getan, erweisen sich das Zufluchtsuchen bei den ihm fast unvermindert ergebenen Franzosen und das Anbandeln mit einem Ensemble der nicht mehr ganz so grossen Namen als regelrechter Segen. Denn «Coup de chance», der fünfzigste Film von Woody Allen und sein erster vollständig nicht englischsprachiger, ist das Beste, was der ewige Neurotiker seit dem deliziösen Spätwerk «Blue Jasmine» und mithin seit zehn Jahren hervorgebracht hat (allenfalls noch mit der löblichen Ausnahme des vom #MeToo-Sturm schwer überschatteten und sowieso ein wenig unterschätzten «A Rainy Day in New York»). Diese «Geschichte um Schuld und Sühne, mit einem Schuss Romantik natürlich», wie der Meister höchstselbst sie beschreibt, erinnert in ihrer Konstellation überdies an den spektakulärsten Allen-Film nach den Achtzigerjahren: das in London spielende Thriller-Melodram «Match Point» von 2005.
 
Fantastique! Magnifique! Formidable!
 
Da wie dort geht es um eine verbotene Liebe, die tödliche Konsequenzen zeitigt. Indes kommt das romantische Risiko in «Coup de chance», zumal in der ersten Hälfte der gut neunzig Minuten Spielzeit, ungleich lebhafter und leichtfüssiger daher als damals im gedämpften London: Wuselig wie zu den besten (New Yorker) Allen-Zeiten geht es zu und her, und viel mehr Farbe, viel mehr Licht, viel mehr Chic durchströmen die Szenerie der Pariser Hautevolee, in deren Dunstkreis sich die Jugendfreunde Fanny (Lou de Laâge) und Alain (Niels Schneider) eines Tages per Zufall wiederbegegnen. Die Wege, die die beiden seit ihrer gemeinsamen Schulzeit gingen, waren zwar ziemlich unterschiedlich, aber je auf ihre Art einigermassen gewunden. Er wandte sich bald dem Schreiben zu und lebt mittlerweile geschieden in London. Sie zog es zunächst nach New York und zu einem abgebrannten Musiker hin, kletterte nach der Scheidung via neuerliche Heirat dann in Paris aber in die Gefilde der oberen zehntausend und arbeitet nun in einem Auktionshaus. Vielleicht sind es diese gebrochenen Lebensläufe, die sie zueinander hinziehen; wahrscheinlicher ist es aber, dass da schon immer etwas war – beziehungsweise in seinem Fall ist das sogar gesichert: Unverblümt und unvermittelt gesteht Alain der hibbelig verdutzten Fanny noch auf der Strasse, dass er schon immer in sie verliebt gewesen sei. Das schmeichelt ihr selbstredend, und dass sie seine Schreiberei fantastique findet, die Gedichte, die er ihr geschenkt hat, magnifique und seine philosophischen Ausführungen über Zufall und Ironie formidable – ja das lässt sie bald nicht nur bildlich an seinen Lippen kleben. Erst denkt sie, das sei bloss ein Abenteuer, schliesslich liebt sie ihren Mann Jean (Melvil Poupaud), einen allerdings etwas dubiosen zappeligen Hansdampf, dessen Job darin besteht, die Reichen noch reicher zu machen – alles legal notabene, «mehr oder weniger», wie er ihr versichert. Dann aber ertappt sie sich dabei, dass sie, die um Himmels willen nur ja keine «Trophy-Wife» sein will, den ganzen Tag an Alain denkt, diesen schlauen Kerl mit seiner Faszination für die Pirouetten des Lebens, für die «kosmische Lotterie», der ihr, seiner allerersten Liebe, schon derart lange verfallen ist, dass er jetzt sein Glück kaum fassen kann. Ihre heimlichen Telefonate, die bald schon einsetzen, bleiben indes nicht allzu lange verborgen; Jean schöpft schnell Verdacht und merkt, dass etwas falsch läuft, nicht in seinem Sinn; und wenn etwas nicht in seinem Sinn ist, dann weiss sich Jean zu helfen, dann greift er halt auch mal zu drastischen Mitteln.
 
Ironie des Schicksals – oder des Zufalls?
 
Der Stimmungswechsel, der sich nun mit Jeans Eingreifen vollzieht, ist zwar markant; die Bilder des Oscar-gekrönten Kameramanns Vittorio Storaro («Apocalypse Now»), mit dem Allen hier zum fünften Mal in Folge arbeitet, vibrieren nicht mehr ganz so sehr vor prächtig farbensatter «joie de vivre». Ein Bruch aber ist das nicht. Unbehelligt von der veränderten Bedrohungslage schlängelt sich der Retrojazz-Soundtrack immer wieder vom Hinter- in den Vordergrund, trippelt die Kamera neckisch um die Protagonisten, witzelt das Skript gewohnt leutselig und schwatzhaft über die Narretei dieser (Selbst)verliebten und Liebestollen. Am meisten Freude freilich bereiten auch jetzt noch die charismatischen (und attraktiven!) Stars, allen voran die wunderbare Lou de Laâge («Boîte noir»), die mit ihrem Galan Niels Schneider («Sibyl») eine famose Chemie hat, es aber auch geradeso gut mit dem Spielverderber Melvil Poupard («Jeanne du Barry») und ihrer Filmmutter Valérie Lemercier («Aline») kann. Ob all der sprühenden Funken fällt es dann auch nicht so auf, dass der Radius – trotz sporadischer Ausflüge aufs Land – hier doch eher nicht so üppig ist, und man ist in gleichsam nostalgischer Verzückung versucht, auch das noch ins Positive zu kehren: dass das nämlich einfach sehr ökonomisch sei, was Allen da mache, und für einen Mann seines Alters eh noch reichlich beeindruckend. Wie auch immer man sich winden und es wenden mag: «Coup de chance» wäre zwar nicht der erhofft krönende, aber doch ein würdiger Abschluss einer magistralen und monumentalen Karriere. Und dass dieser nicht in Allens New York, sondern in Paris vonstattengeht – nun, das wäre dann eben genau das, worum es hier immer wieder und zuvörderst geht: Ironie. Ob des Schicksals oder des Zufalls: Das lassen wir jetzt mal offen.