von Sandro Danilo Spadini
Das ist wieder mal eine Ansage: Es sei dies die seltsamste gottverdammte Geschichte, über die er je berichtet habe, meint Klatschreporter Dick (Danny Huston) in seiner Funktion als Erzähler
einleitend. So seltsam ist diese Geschichte, wird man 105 Minuten später selbst konstatieren, dass es da gar kein besonderes Dazutun mehr braucht von Regisseur Tim Burton, dem Meister des
Absonderlichen: Er kann hier ganz konventionell erzählen, ohne die übliche Fantasterei, und wird uns trotzdem staunen machen. Beginnen lässt er seine Geschichte, die jene der Populärkünstlerin
Margaret Keane ist, im Jahr 1958. Margaret (Amy Adams) packt da gerade ihre Siebensachen samt Tochter und flieht vor dem Ex-Gatten nach San Francisco. Dort dauert es nicht lange, bis die
Hobbykünstlerin dem selbst ernannten «Sonntagsmaler» Walter Keane (Christoph Waltz) begegnet, der ansonsten in Immobilien macht. Und ebenso wenig lange dauert es dann, bis dieser sie ehelicht.
«Ich weiss, es macht keinen Sinn», findet selbst Walter, dieser leutselige Luftikus im Picasso-Pullover, der sich als schmieriger Schürzenjäger und hohler Hochstapler erweisen und dem ein Gericht
schliesslich eine wahnhafte Störung attestieren wird. Doch das kommt später. Zunächst flattiert er ihr und hofiert sie. Und er unterstützt Margarets künstlerische Ambitionen. Mit gutem
Grund.
Kunst für die Massen
Wie ein Meteorit schlagen Margaret Keanes Werke in der Kunstwelt ein. Kritiker geisseln die immer gleichen Bilder von Mädchen mit traurigen grossen Augen zwar als gefühligen Kitsch; und Woody
Allen wird sich einige Jahre später in «Sleeper» über sie lustig machen. Doch der Masse gefällts, und dank Walters genialem Marketing werden «Keanes» zum Phänomen in handlichem Postkarten- und
erschwinglichem Posterformat. Die Sache hat freilich einen grossen Haken: Alle Welt glaubt, Walter sei ihr Urheber. Er hatte das beim ersten Verkauf aus Verkaufstaktik so behauptet, und Margaret
liess ihn dann machen. Widerwillig zwar, aber es war damals nicht die Zeit, dem Ehemann die Gefolgschaft zu versagen. Schon gar nicht einem Dominator wie Walter Keane. Dieser sei kein subtiler
Mann gewesen, findet Klatschmaul Dick. Tim Burton, selbst Keane-Sammler und dem Kitsch gleichfalls nicht eben abhold, ist es aber auch nicht. Jedenfalls hier öfters nicht und etwa dann, wenn er
anlässlich einer Vernissage den Sexismus anprangert: Margaret muss da die Cocktailkellnerin geben, während im Hintergrund ihre Bilder hängen und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Walter das Lob
dafür einheimst. Nein, subtil ist das nicht – aber ein kraftvolles Bild nichtsdestotrotz.
Gegenständlich sozusagen
Die Bilder sind denn auch hier Burtons grosse Stärke. Eine Orgie aus Farben und Sonne seien «seine» Werke, meint Walter – auf «Big Eyes» trifft das ebenso zu. Und wenn Margaret im Hochzeitsrausch auf Hawaii verkündet, nur Gott könne solche
Farben erschaffen, darf man ergänzen: Tim Burton kann das auch. Was er überdies gut kann, ist flüssig und beschwingt erzählen. Wobei sich diese Geschichte aber auch quasi von selbst erzählt. Die
Leistung des Autorenduos Scott Alexander/Larry Karaszewski («Man on the Moon», «The People vs. Larry Flint») soll das nicht schmälern: Die Biopic-Spezialisten, die für Burton schon «Ed Wood»
schrieben, zeichnen hier ein so verständliches wie vollständiges Bild des Forschungsobjekts – gegenständliche Kunst sozusagen. Mit dem Interpretieren und dem Kommentieren – des Kunstbetriebs
etwa, der Relevanz von Keanes Werk oder der Feminismus-Thematik – tun sie sich schon schwerer: Hier setzen sie auf singuläre Stellvertreterszenen, was weder Tiefe noch – siehe die
Vernissage-Sequenz – Raffinesse erzeugt. Davon ist auch Waltz unerwartet weit entfernt. Je länger, je mehr macht er ein ziemliches Theater und gibt seine zusehends clowneske Figur endlich der
Lächerlichkeit preis. Margaret bleibt derweil passiv und Adams nuanciert in ihrem Spiel. Dieses ist so letztlich das «künstlerisch Wertvollste» in Burtons Film, der vielleicht nicht gerade das
Äquivalent eines «Keanes» ist, aber doch klar den Massengeschmack anpeilt. Wogegen ja nichts einzuwenden ist. Oder um es mit der Logik des dem Film vorangestellten Andy-Warhol-Zitats zu sagen:
Wenn es so vielen gefällt, muss es gut sein.