von Sandro Danilo Spadini
Das Folgende sei eine reale Darstellung fiktionaler Ereignisse, verkündet gleich eine Einblendung. Und um die Haftung für dessen Wahrheitsgehalt noch etwas weiter von sich wegzuschieben,
erscheint bald darauf noch eine zweite Texttafel: Die Idee ihres Lebens als ein Märchen sei selbst ein Märchen, wird die Titelheldin zitiert. Regisseur Olivier Dahan («La môme») und Drehbuchautor
Arash Amel nehmen das nun als Freifahrtschein, in «Grace of Monaco» historisch recht Gewagtes zusammenzufabulieren. Da verhindert etwa die vom Hollywood-Star zur Fürstin Gracia Patricia
avancierte Grace Kelly (Nicole Kidman) mit einer lieblichen Rede am Rosenball in Monte Carlo im Alleingang eine französische Invasion. Da streckt Fürst Rainier (Tim Roth) einen politischen
Kontrahenten per Ohrfeige nieder. Und da treten wie im Märchen Stereotypen en masse auf: ein «dem Mädchen aus Philadelphia» kritisch gesinnter Hausdrachen (Parker Posey), der mit allen
Weisheitswassern gewaschene Hofgeistliche (Frank Langella), der kapriziöse Benimmtrainer (Derek Jacobi), die tumben Bonzenweiber, die arroganten Franzosen und in Erzählungen der tote Vater, den
Grace nicht mal mit ihrem Oscar-Gewinn hatte stolz machen können.
Verehrte Heldin
Ihre Aufwartung machen freilich auch glamouröse Gestalten: Die Callas (Paz Vega) kommt zum Reiten und zum Singen vorbei; Aristotle Onassis (Robert Lindsay) ist weder um politischen noch privaten
Rat verlegen; de Gaulle (André Penvern) poltert ob Monacos Steuergebaren und hämmert auf der Kriegstrommel; und Hitchcock (Roger Ashton-Griffiths) erscheint am Hof mit dem Skript zu «Marnie» und
dem Angebot, nein dem Wunsch, nein dem inständigen Flehen, «Gracie» möge doch – in der Rolle einer «frigiden Kleptomanin» ausgerechnet – ihr Hollywood-Comeback geben. Von seinem «To Catch a
Thief»-Set war sie in der schönen Auftaktsequenz entschwunden: im weissen Kleid von hinten gefilmt. Beinahe schwebend. Wie eine Göttin. Wie die Göttin, die sie war und als die sie auch Dahan und
Amel sehen. Dass das auf eine Heldinnenverehrung hinauslaufen würde, war also schon da klar. Ebenso, dass «Hitch» und Hollywood ihre Prinzessin nicht zurückbekommen würden. Stattdessen lebt Grace
Ende 1961, wenn diese Märchenstunde eigentlich einsetzt, schon fünf Jahre mit Rainier. Es ist nicht einfach. Sie sieht ihn selten. «Er arbeitet viel», erzählt sie Hitchcock und erkundigt sich
wehmütig nach Cary Grant. Aber: «Mir geht es gut», versichert sie, und man glaubt es ihr nicht. Und Hitch glaubt ihr das sowieso nicht. Deshalb insistiert er. Und Grace kommt ins Grübeln. Sie
will zurück. Sie ist nicht erfüllt. Wenn sie in erlauchtem Kreis ihre Meinung äusserst, stutzt «Ray» und staucht sie zusammen. Und seine Untertanen sind auch skeptisch. So hat sich Grace das
nicht vorgestellt. Scheidung ist eine Option.
Nicole Full of Grace
Auch dazu kommt es bekanntlich nicht. Vielmehr steht Grace ihrem Mann in der schwersten Krise des ältesten Hofs Europas bei und schlüpft in die Rolle ihres Lebens als geliebte Landesmutter. So
jedenfalls will es diese neue Legende, an der gar lange gestrickt wurde und über die Regisseur Dahan und sein gewichtiger Produzent Harvey Weinstein sehr öffentlich stritten. Unerfreut ist
derweil die Fürstenfamilie, die von einer «Farce» spricht und der Premiere in Cannes natürlich fernblieb. Verpasst hat sie ein psychologisch selektives Porträt, das ein paar Monate aus einem
Jahrhundertleben ausschneidet und dabei anders als kürzlich «Diana» recht reichhaltig geraten ist: Da gibt es höfische Intrigen, politische Verwerfungen, Ehe- und Emanzipationsdramen,
Mini-Geschichtslektionen, einen Schuss Comedy und einen Hauch Thriller. Was fehlt, sind zwar die Schmankerln – die Kirschen auf der Torte sozusagen. Aber dafür hat der Film eine wunderhübsche
Technicolor-Ästhetik, wenn er sich ausgiebig im Mondän-Mediterranen suhlt und sich fast einen Sonnenbrand holt; er hat eine Kamera, die Grace huldigt und sie bisweilen förmlich abbusselt – und er
hat eine Nicole Kidman, die wohl nicht restlos ihre eigene Filmstar-Persona abzustreifen vermag, die aber in manchen Aufnahmen ihrer Figur berückend ähnlich sieht. Und das ist dann doch etwas,
was der Realität nahe kommt.