von Sandro Danilo Spadini
Über 550 Millionen Schusswaffen befinden sich weltweit im Umlauf. Das macht eine Schusswaffe für jeden zwölften Menschen auf unserem Planeten. Die einzige Frage ist: Wie bewaffnen wir die anderen
elf?» Während Yuri Orlov in der Auftaktsszene von «Lord of War» diese Worte in die Kamera spricht, huscht kein Lächeln über sein Gesicht. Ganz ernst wird es ihm mit seiner Frage wohl
nicht sein; doch eine oder zwei Ideen, wie die Antwort darauf lauten könnte, dürfte der ukrainischstämmige Waffenhändler durchaus in petto haben. Denn Yuri Orlov hat eigentlich auf fast alles
eine Antwort parat – die schlüssigsten freilich, wenn es darum geht, sein den Tod in alle Teile der Welt bringendes Tun zu rechtfertigen. Und mitteilsam genug ist er auch. Minutiös und
wahrheitsgetreu wird er uns in den nächsten zwei Stunden in lakonischem Ton und mit zynisch pointierter Eloquenz von seiner steilen Karriere als Geschäftsmann mit kugelsicherer, aber nicht so
sauberer Weste schildern. Nicht unstolz auf seine moralische und politische Teilnahmslosigkeit wird er ausführen, dass er seine Ware an alle Armeen ausser der Heilsarmee geliefert hat. Nicht mit
der Wimper, sondern mit der Achsel wird er zucken, wenn er festhält, dass schon Mitte der Achtziger in acht der «Top-Ten-Kriegsregionen» mit seinen Waffen getötet wurde. Und nicht mehr
einzukriegen wird er sein, wenn er daran zurückdenkt, wie Michail Gorbatschow ihm mit dem Verkünden des Endes der Sowjetunion und den sich damit auftuenden Geschäftsmöglichkeiten das schönste
aller Weihnachtsgeschenke machte. Yuri Orlov ist halt ein Pragmatiker. Etwas mulmig wird ihm bloss beim Gedanken an die irren afrikanischen Warlords, mit denen er zugekokst ebendiese neuen
Geschäftsfelder beackert hat.
Spielerischer Ansatz
Yuri Orlov wird gespielt von Nicolas Cage, und Nicolas Cage ist auch die fast einzig denkbare Besetzung für diese Rolle. Mit seinem treuherzigen Hundeblick, in welchem stets nicht nur
Gleichgültigkeit, sondern auch träge Apathie und leise Verzweiflung zu lesen ist, macht er es einem praktisch unmöglich, ihn nur als jene hassenswerte Figur zu verstehen, die er mit Leib und
Seele verkörpert; die seinen Bruder (solide: Jared Leto) mit ins Unglück reisst; die seine Frau (unerklärlicherweise noch immer auf ihren Durchbruch wartend: Bridget Moynahan) belügt und betrügt;
die von einem unerbittlichen Agenten (fehlbesetzt: Ethan Hawke) jahrelang gejagt wird. Regisseur und Drehbuchtautor Andrew Niccol geht es denn primär auch nicht darum, den Akteur Orlov (oder
solche wie ihn) an den Pranger zu stellen. Vielmehr möchte er trotz Fokussierung auf diesen einen ambivalenten Handlungsträger die der filmischen Aufarbeitung harrende Problematik des
internationalen Waffenhandels von einer höheren Warte aus erörtern. Dabei hat er indes nicht den Anspruch von Filmen wie «Traffic» oder «Syriana», die einen ernsthafteren, vertiefteren,
umfassenderen und entsprechend erhellenderen Einblick in die nicht minder schmutzige Welt des Drogen- respektive Ölgeschäfts geben. Niccols Ansatz ist mehr ein spielerischer.
Gute Balance
Die Quintessenz seiner Strategie lässt sich am von Buffalo Springfields tiefsinnig-heiterer Hippie-Hymne «For What It’s Worth» begleiteten Vorspann ablesen, wo in Point-of-View-Einstellung der
Weg einer Kugel von der maschinellen Fertigung bis in den Kopf eines afrikanischen Jungen nachgezeichnet wird. So wie innerhalb dieser Sequenz wird auch im nachfolgend in 15 verschiedenen Ländern
Spielenden und fast ausschliesslich in Südafrika Gedrehten aus Spass allmählich Ernst und mit scharfer Munition geschossen. Die formale Virtuosität und Verspieltheit, die anfangs noch sich selbst
genügt und einzig das Auge beglücken will, stellt sich ab der zweiten Stunde mit bisweilen bizarren und beeindruckenden Bildern in den Dienst der seriösen Sache. Dass er die Balance zwischen
stilisiert-ästhetisierter Form und satirisch-sozialkritischem Inhalt zu halten vermag, hat Niccol, Drehbuchautor von «The Truman Show» und, na ja, «The Terminal», bereits in seinen beiden
bisherigen Regiearbeiten bewiesen. Sowohl das Sciencefiction-Drama «Gattaca» als auch die Medienpersiflage «S1m0ne» offenbarten nebst einem Faible für glatte, elegante, symmetrische Aufnahen
sowie der Liebe zu architektonisch reizvollen Sets den Willen zu einer dezidierten Aussage. In «Lord of War» hat der 42-jährige Neuseeländer dies nun nahezu perfektioniert. Gewürzt mit ein wenig
Action, überbringt er seine Botschaft am Ende mit der Überzeugungskraft einer Kalaschnikow. In den Olymp des Filmemachens katapultiert er sich damit zwar noch nicht, doch ist er dabei, sich einen
Namen zu machen, den man sich ruhig merken darf.