Auf das Glamouröse nun etwas Substanzielles

In Woody Allens ziemlich trauriger Tragikomödie «Blue Jasmine» zeigt Hauptdarstellerin Cate Blanchett einmal mehr, warum sie die grossartigste Schauspielerin ihrer Generation ist.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Geld und der Gatte, der Schmuck und der Status – alles ist jetzt mal weg. Doch wiewohl Jasmine (Cate Blanchett) nach der Verhaftung ihres mauschelnden Manns Hal (Alec Baldwin) so jäh aus der New Yorker High Society gepurzelt ist: Vom hohen Ross gestiegen ist sie deshalb keineswegs. Und wenngleich der Pfändungsbeamte schon vorbeigeschaut hat, ist sie natürlich first class nach San Francisco geflogen. Mit Louis-Vuitton-Koffern, Hermès-Tasche, Chanel-Gürtel, Vivier-Schuhen, ja überhaupt wie einem Modeblatt entsprungen steht sie dort naserümpfend bei ihrer Halbschwester Ginger (Sally Hawkins) und deren dicken Kindern auf der profanen Vorortsmatte – sie, Herrschaftszeiten, die die piekfeine Park Avenue und die Hamptons gewohnt ist und der es nun «nicht einmal mehr für ein Apartment in Brooklyn» gereicht hat. Ohne Punkt und Komma klagt sie da von ihrer Schmach und über die neue Luxuslosigkeit, schluckt dabei Xanax wie M&M’s und ist wie eh und je gänzlich unbekümmert vom chronischen Leid Gingers. Dabei hat die Arme nur einmal auf der Sonnenseite gestanden: als ihr Ex-Mann einen Lottogewinn einfuhr, den der windige Hal dann aber prompt verspekulierte. Doch damit muss man Jasmine jetzt nicht kommen. Es soll hier schliesslich um sie gehen.

Keine Woody-Marionette

Das tut es in Woody Allens «Blue Jasmine» dann in der Tat auch ganz und gar. Ja so viel Aufmerksamkeit wie kaum jemandem zuvor in seinen 42 Kinoregiearbeiten lässt der bald 78-Jährige seiner Antiheldin hier angedeihen. Und Cate Blanchett dankt ihm das mit einer jener Leistungen, die verdeutlichen, dass sie schlicht die grossartigste Schauspielerin ihrer Generation ist.  Sie vollbringt das freilich, indem sie sich auch ein Stück weit vom ewigen Strippenzieher Allen emanzipiert. So ist sie anders als so viele vor ihr, die Allen an seiner Statt ins Geschehen schickte, nicht seine Marionette oder Stellvertreterin; vielmehr kreiert Blanchett mit ihrem Maestro eine der interessanteren Frauenfiguren der letzten Jahre in dem an interessanten Frauenfiguren noch immer zu armen amerikanischen Kino. Es versteht sich dabei indes auch, dass ob solcher Präsenz und Präzision die anderen Parts etwas leiden. Insbesondere die Herren sind recht eindimensional geraten. Und entweder Clowns oder Idioten sind sie obendrein: vom betrügerischen Finanzjongleur Hal über den zudringlichen Zahnarzt (Michael Stuhlbarg) bis zum groben Automechaniker (Bobby Cannavale), mit dem die bei Männern notorisch danebenliegende Ginger eine unselige On-Off-Beziehung pflegt. Erst Peter Sarsgaard als begüterter Witwer und Louis C.K. als charmanter Tontechniker, die nach einer guten Stunde in das Leben der Schwestern treten, verheissen da Besserung. Aber irgendwie hält sich hartnäckig das Gefühl, dass Allen es diesmal nicht auf ein Happy End anlegt.

Gegen Ende noch besser

Und dabei ist das hier doch eine so freundlich scheinende Angelegenheit. Ob bei den Drinks in den Hamptons, dem Flanieren am Ocean Beach oder dem Turteln in den Pacific Heights: Immer lacht die Sonne über dem für Allens Verhältnisse gar nicht mal so schnell- und scharfzüngig parlierenden Personal. Doch je mehr es den Stadtmenschen an die frische Luft und damit weg von der schwungvoll aufgearbeiteten New Yorker Vergangenheit zieht, desto stärker dringt die Tragik der Geschichte durch. Es ist jetzt ein anderer, modernerer und noch besser werdender Film: Die Kontraste zwischen der Oberklasse an Jasmines altem und der Arbeiterschicht an ihrem neuen Zuhause sind über die steten Orts- und Zeitwechsel hinlänglich ausgemalt; mit der New Yorker High Society hat Allen dezent abgerechnet; Jasmines Neurosen sind aufgezeigt; den Verlust des Glamourösen hat sie allmählich aufgearbeitet; und ihre Suche nach «etwas Substanziellem» und «jemand Bedeutungsvollem» scheint abgeschlossen. Diese «Flurbereinigung» nutzt Allen dann aber dazu, auch noch die letzten Lügengebilde zum Einsturz zu bringen – und das auf nicht wirklich komische Weise. Immer deutlicher wird da, dass sich hier eigentlich niemand mag. Auch das ist nicht lustig. Es ist sogar ziemlich traurig.