von Sandro Danilo Spadini
Auch in diesen aufgeheizten Zeiten darf es natürlich keine Rolle spielen, wem ein Unrecht widerfährt: wer also jemand ist und wofür dieser jemand steht. Und das tut es letztlich ja auch nicht im
Fall all dieser Frauen, die Opfer jener lüstern sexistischen Betriebskultur wurden, die im Juli 2016 beim rechtskonservativen US-Fernsehsender Fox News zum Rücktritt des bald darauf verstorbenen
CEO Roger Ailes führte. Aber wir sind hier halt im Kino. Und im Kino, da braucht es Helden, mit denen man sich identifizieren, Kämpfer, mit denen man mitfiebern möchte, wenn sie gegen den
übermächtigen Unterdrücker aufbegehren. Und als solche, so weist sich in
«Bombshell», eignet sich eben nur leidlich, wer aus Karrieregeilheit seine Seele Rupert Murdoch verkauft hat. Wer kein Problem damit
hatte, mitzuhelfen, vor Millionenpublikum rassistisches und frauenfeindliches Gift zu verspritzen. Wer sich das alles jahrelang anschaute und mitmachte – und wegschaute und nichts machte, wenn
die nächste Unschuld vom Lande in den zweiten Stock zitiert wurde, um für Roger Ailes den Rock zu lupfen. Es gibt mithin wirkungsvollere Kinoheldinnen als die Starmoderatorinnen Megyn Kelly und
Gretchen Carlson, diese Ehrgeizlinge mit den betonierten blonden Haaren, deren Aufstand im Zuge von #MeToo die ganze Sauerei ans Licht zerrte.
Bitte keine Politik
Es gibt freilich kaum jemanden, der besser geeignet wäre, die cool kühle Kelly zu spielen, als Charlize Theron, die sich hier einmal mehr – mithilfe einer grandiosen Make-up-Abteilung – als
Chamäleon präsentiert. «Ich habe eine grosse Klappe», lässt sie uns im flotten moderierten Prolog lässig in die Kamera lächelnd wissen. Und zum Beweis bekommen wir als Nächstes jene Episode
serviert, die Kelly auch ausserhalb der USA kurzzeitig bekannt macht: als sie es an der ersten Debatte der republikanischen Vorwahlen mit einem aufnimmt, der eine noch viel grössere Klappe hat.
Und der danach subito 15 Tweets losdonnert, sie als «Bimbo» beschimpft und bei CNN das hier absondert: «Ihr kam Blut aus den Augen, Blut aus ihrem Wo-auch-immer.» Während für Kelly nun ein
Spiessrutenlauf beginnt, war das für Roger Ailes (John Lithgow) einfach «gutes Fernsehen». Und sowieso: «Der wird nie Präsident.» Wird Donald Trump dann natürlich doch, aber damit verschwindet er
hier auch schon wieder. Und das ist eine kluge Entscheidung von Drehbuchautor Charles Randolph und Regisseur Jay Roach angesichts der derzeitigen Polarisierung. Denn was nun folgt, ist kein
Feldzug gegen Trump, die Republikaner und deren Haussender; es ist etwas, was einen unabhängig der politischen Couleur in Wallung bringen müsste. Sprich: Man soll es mit dem gebührenden Ekel
betrachten, wenn dieser unbedingte Loyalität einfordernde, paranoide dicke alte Mann einer naiven «Influencerin in der Jesus-Sphäre» (Margot Robbie in einer repräsentativen fiktiven Rolle) schwer
keuchend gebietet, ihren Rock weiter und weiter hochzuziehen. Und das dann mit der Begründung weggrunzt: «Es ist schliesslich ein visuelles Medium.»
Verpasste Chancen
Es sind nicht nur diese clever schnippischen und bisweilen witzigen Dialoge im Aaron-Sorkin-Stil, die der Autor von «The Big Short» und der längst ins Politfach übersiedelte Regisseur von «Austin
Powers» und dem Sarah-Palin-Film «Game Change» hier abfeuern; sie hauen uns in einem nur gelegentlich gedrosselten Höllentempo auch eine Unmenge an Namen und Fakten um die Ohren, ob denen es
einem schwindlig wird, wenn man nicht gerade Amerikaner oder Medieninsider ist. Dieses fehlende Hintergrundwissen mindert auch etwas den Spass, wenn Randolph und Roach das komplette
Fox-Gruselkabinett aufmarschieren lassen: vom schmierigen Sean Hannity über die hexenhafte Jeanine Pirro und den öligen Geraldo Rivera bis zum inzwischen ebenfalls gefeuerten Bill O’Reily
(Fox-interner Spitzname: «das Arschloch»). Andererseits ist dieses Manko aber auch von Vorteil, geht man so doch vorurteilsfreier an die Sache heran. Und es sind ja noch genug mimische Highlights
da: nicht nur die Oscar-nominierten von Theron und Robbie, jene von Kidman und Lithgow, dessen Ailes-Interpretation fast an die just Golden-Globe-prämierte von Russell Crowe in der Miniserie «The
Loudest Voice» heranreicht; sondern überdies von Allison Janney, Connie Britton und Mark Duplass, Kate McKinnon als lesbischem Hillary-Fan bei Fox, Richard Kind als Rudy Giuliani und Malcolm
McDowell als Fox-Gründer Rupert Murdoch himself, der spät erscheint und zum Rechten sieht. Eine ordnende Hand hätte auch dem Film gutgetan, der erhebliche Probleme mit der Balance hat: nicht so
sehr mit der ideologischen, wie das bei Fox News mit dem gleichsam ironischen Motto «Fair und ausgewogen» der Fall ist; aber beim Rhythmus und im Abmischen von Ernstem und Satirischem, auch wenn
es gewiss zu begrüssen ist, dass man hier nicht mit der Moralkeule windelweich geschlagen wird. Manches wirkt auch einfach unentschlossen, etwa wenn die Steilvorlage von Influencerin Kayla
ungenutzt verstreicht, die Kelly auf ihr jahrelanges Schweigen anspricht. Hier hätte der Film die Chance gehabt, nicht nur zu zeigen, wie den Tätern jegliches Schuldbewusstsein abgeht und deren
Bosse nur am «Verkaufen» interessiert sind; er hätte auch eine gewisse Heuchelei entlarven können, gerade vonseiten Kellys, deren Rolle in dieser Causa am Ende ohnehin nicht ganz so entscheidend
und entbehrungsvoll war (die treibende Kraft war eigentlich Carlson). So kriecht «Bombshell zwar ein bisschen unter die Haut, auf dass es einen graust – aber nicht so weit unter die Oberfläche,
als dass man zu neuen Erkenntnissen gelangen würde.