Von der kleinen auf die grosse Leinwand

In Peter Webbers visuell virtuos sich der Kunst des niederländischen Malers Johannes Vermeer annäherndem Erstling «Girl with a Pearl Earring» glänzt die junge Scarlett Johansson.

 

von Sandro Danilo Spadini

Zunächst einmal ist «Girl with a Pearl Earring» eine recht widersprüchliche Angelegenheit: eine Romanadaption, die zum einen nicht allzu viel zu erzählen hat und die sich zum anderen kaum um die Ausgestaltung oder, um sich ins folgende Bild einzufügen, die Zeichnung seiner Figuren bemüht. Es gibt nun aber auch weiss Gott filmtauglichere Stoffe als Tracy Chevaliers Buch über die Entstehungsgeschichte von Johannes Vermeers gleichnamigem, von manchem Kommentator als «Mona Lisa des Nordens» bezeichnetem Gemälde. Entstanden ist dieses schätzungsweise um 1665 in der malerischen niederländischen Stadt Delft, Modell gesessen haben dürfte Vermeers Dienstmagd, aus deren Perspektive die Geschichte des Buchs erzählt wird.

Dürftige Handlung

Was Regisseur Peter Webber in seinem Kinodebüt daraus macht, ist in vielerlei Hinsicht dürftig. Da wird einem etwa andauernd Dramatik vorgegaukelt, wo doch eigentlich gar nichts Weltbewegendes geschieht: eine wegen nichts und wieder nichts schluchzende Gattin, ein warum auch immer konstant finster dreinschauender Gatte, alles umrahmt von bedeutungsschwangerem Ton und Dialog. Da sind die mit allen erdenklichen Klischees beladenen Nebenfiguren: nebst angesprochener etwas entrückter Ehefrau etwa deren intriganter Balg, eine gestrenge Schwiegermutter, eine burschikose Köchin, ein lüsterner Mäzen und der unvermeidliche liebestolle Jüngling. Und da ist die Fehlbesetzung der männlichen Hauptfigur, die Komödienspezialist Colin Firth («Bridget Jones’s Diary») zum Leben erwecken soll. Zu richtigem Leben erweckt hat dieser Colin Firth in seiner Karriere aber bislang kaum eine Figur; vielmehr ist das ein Stoiker, der Vermeers – von Webber implizierte – Obsessionen und Abgründe nicht einmal in Ansätzen sichtbar zu machen vermag. Doch muss man für Firth letztlich sogar dankbar sein: Ursprünglich sollte ja Ralph Fiennes diese Rolle übernehmen – ein Mann, der im Gegensatz zu Firth nicht zwei, sondern nur einen Gesichtsausdruck beherrscht und dabei stets so wirkt, als hätte er eine Überdosis Barbiturate intus.

Den Meister nachahmend

Es sind also mehr als nur Details, in denen Webber seinem cineastischen Auftrag in ungenügender Weise nachkommt. Die gute Nachricht ist aber: Das macht alles (fast) gar nichts. So hat Webber etwa mit dem zur Zeit der Dreharbeiten erst 17-jährigen Jahrhunderttalent Scarlet Johansson («Lost in Translation») die absolute Idealbesetzung für die Hauptrolle gefunden; diese weist nicht nur eine wahrlich verblüffende Ähnlichkeit mit Vermeers Mädchen auf dem Gemälde auf, sondern erreicht mit ihrem vielschichtigen, gleichzeitig devote Schüchternheit und intelligente Resolutheit ausstrahlenden Spiel die höchste in dieser Rolle zu erlangende Perfektion. Johanssons gleichsam ätherische Schönheit, die in nur einer ganz kurzen Szene in voller Pracht zu bewundern, ansonsten aber durch ihre Dienstmagd-Haube verdeckt ist, setzt Webber fast in jeder Szene einem verliebten Porträtmaler gleich ins Bild. Doch ist «Girl with a Pearl Earring» nicht bloss eine Liebeserklärung an Johansson, sondern in erster Linie eine Hommage an Vermeer, dessen Werk Webbers massgebliche Inspirationsquelle war. Meisterhaft nähert er sich mit seiner Bildsprache dem Stil des niederländischen Meisters an, erweist sich wie dieser als Virtuose im Umgang mit Licht und ahmt mit erstaunlicher Präzision dessen ausgeklügelte Farbkompositionen nach. Mit feinem Gespür stellt er seine oftmals schweigenden und wie bei Vermeer mehr über Blicke kommunizierenden Figuren in den Raum, widmet sich mit Liebe zum Detail der Darstellung des Interieurs, der auch in Vermeers Werk eine herausragende Stellung zukommt. Exzellent überdies die Oscar-nominierte Kameraarbeit von Eduardo Serra, der es gerade in den selteneren Aussenaufnahmen versteht, Stimmungen in höchst ästhetischer und kaum ästhetisierter Form einzufangen. Worauf Webber das Hauptaugenmerk bei seinem fast schon experimentellen Erstling gelegt hat, ist also so offenkundig wie – eingedenk des Themas – folgerichtig: So dürr Handlung und Figurenzeichnung sind, so ausgefeilt ist die Optik. Bei so viel visueller Wucht stört es letztlich denn auch nur noch wenig, dass der Rahmen dieses Film gewordenen Gemäldes von nur minderer Qualität ist.