Und am Ende ist wohl wieder das Wort

Der postapokalyptische Western «The Book of Eli» punktet mit hohen Schauwerten, einer reizvollen Grundidee und einem von Denzel Washington angeführten Top-Ensemble.

 

von Sandro Danilo Spadini

Was vorgängig denn wirklich geschehen ist, bleibt lange spekulativ. Nach und nach wird wohl das eine oder andere enthüllt. Doch warum die Welt des Actioners «The Book of Eli» so karg, so staubig, so kaputt ausschaut – das wollen die hier den Taktstock schwingenden Brüder Albert und Allen Hughes («From Hell») dann trotzdem nicht en detail elaborieren. Was immerhin gesichert ist: Es ist – 30 Jahre zuvor – zum grossen Knall gekommen, zum «Flash». Überlebt haben das nur die wenigsten, und die, die es überlebt haben, sind grossenteils der letzte Abschaum. Es herrscht jetzt also Anarchie, Armut sowieso, Aggression allenthalben auch. Wo immer man hinkommt, durch welches finstere Wüstental man wandelt, in welche Geisterstadt man sich wagt – man sollte höllisch aufpassen. Höllisch aufpassen nicht nur vor den üblichen Mördern, Vergewaltigern, Brandschatzern, nicht nur vor den neuen Tyrannen, Despoten, Unterdrückern, sondern vor allem vor «denen». Was es mit «denen» wiederum genau auf sich, ist – eh klar – ungewiss. Es ist auch das zunächst ein Rätsel, mit dem sich im Vertrauen auf die Schreckensmacht des Ungewissen punkten lässt.

Monumental fotografiert

Beim blossen Andeuten wollen es die neun Jahre lang verschollenen Hughes-Zwillinge dann freilich nicht bewenden lassen. Vielmehr möchten sie es anderweitig reichlich explizit krachen sehen – «The Book of Eli» ist ja zuallererst ein Actionfilm, ein postapokalyptischer Western, um genau zu sein. Den, den sie da ins Gefecht schicken, ist besagter Eli. Eli hat eine Mission. Zieht seit dem Flash durch die brachen Lande mit einem Buch. Immer gen Osten. So wie es ihm eingegeben wurde. Den iPod konnte er in dieses enttechnologisierte und entzivilisierte Neu-Amerika hinüberretten. Dazu ein langes Messer. Dieses zückt er auch öfters, zum Jagen oder dann, wenn ihm mal wieder wer sein Buch abluchsen will. Denn das Buch ist das Buch der Bücher – und vor allem: eines der letzten seiner Sorte. Wie wir endlich erfahren, ist die Religion nämlich schuld an all dem, was die fast farblos öde Gegenwart dieser gefiltert und gerne weitwinkelig fotografierten Kino-Monumentallandschaft ist. Die Bibel wurde nach dem Flash verboten, verbannt, verbrannt. Seither ist Religion tabu – die Jüngeren wissen gar nicht, was es mit ihr auf sich hatte. Doch was wäre, wenn sie es wüssten? Und was wäre, wenn Elis Bibel in die Hände von Leuten geriete, die sich das Wort Gottes abermals zu persönlichem Nutze zu machen wüssten? Schliesslich sei das kein Buch, wird einmal gesagt, sondern «eine Waffe, gerichtet auf die Herzen der Schwachen, der Schlüssel zur Macht». Elis Mission besteht mithin nicht darin, der Religion das zerstampfte Terrain wieder zu ebnen; ihr Zweck ist es vielmehr, deren neuerlichen Missbrauch zu bannen. 

Krudes Kunstwerk

Was man mit diesem Eli anfangen soll, ist ein weiteres Rätsel. Gespielt wird er jedenfalls von Denzel Washington, und der gute alte Denzel vermittelt auch hier den Eindruck, dass er zu einer schwachen Leistung selbst dann nicht imstande wäre, wenn er dies denn anstrebte. Seine überragende Präsenz ist nicht der kleinste Trumpf dieses sich mal schwer religiös, mal lässig scherzend gebenden Films; und jene, die er verhaut, wie jene, die ihm dabei helfen, mehren ebenso die alleine schon vom Produktionsdesign herausgekitzelte Erquickung. Einen Gary Oldman etwa hat man lange nicht so spielfreudig gesehen – die Bösewicht-Rollen scheinen ihm eben doch am besten zu liegen. Oder Mila Kunis. Die aufstrebende Ukrainerin darf hier demonstrieren, dass mehr als nur ihre unverschämte Attraktivität für sie spricht. Sogar abseits der grösseren Parts hat man sich nicht mit den notorischen Vierschrötern und den dekorativen Einzellern begnügt. Stattdessen bevölkern subversive Typen wie Tom Waits, Jennifer Beals oder Michael Gambon dieses krude Kunstwerk im hochartifiziellen Neunzigerjahre-Stil, das trotz Handlungsarmut und Actionübergewicht stets interessant bleibt. Was die Hughes-Zwillinge uns mit alldem letztlich mitteilen wollten, muss freilich auch wieder spekulativ bleiben. Aber das macht gar nichts.