Kleinkrieg im Grossstadtdschungel

Roger Michells «Changing Lanes» ist ein intelligentes, präzise und packend inszeniertes, grossartig gespieltes und grandios geschriebenes Grossstadtdrama – schlicht ein perfekter Film.

 

von Sandro Danilo Spadini

New York. Hektik. Verkehrschaos. Zwei Männer eilen zu einem Gerichtstermin. Yuppie-Anwalt Gavin (Ben Affleck) für seine Kanzlei und seine Karriere im Kampf gegen eine Millionenklage, Ex-Alkoholiker Doyle (Samuel L. Jackson) für sein Seelenheil im Kampf um das Sorgerecht für seine Kinder. Zwei Kämpfer also inmitten des Grossstadtdschungels, wo Egoismus und Rücksichtslosigkeit noch etwas stärker ausgeprägt sind als anderswo. Zwei Kämpfer vor dem Gesetz, wo gerade in der Stadt der Winkeladvokaten die Gerechtigkeit oftmals auf der Strecke bleibt. Ein harmloser Verkehrsunfall führt Gavin und Doyle zusammen. Gavin flieht vom Unfallort, verliert dabei aber eine wichtige Akte, bevor er Doyle buchstäblich im Regen stehen lässt. Dieser kommt zu spät zu seinem Termin, verliert seinen Prozess, ist nun aber im Besitz von Gavins Akte. Ein perfider Kleinkrieg  beginnt, in dessen Verlauf beide noch weit mehr verlieren werden: das Vertrauen in das System, den Glauben an den eigenen Lebensentwurf und beinahe den Verstand.

Alles richtig gemacht

«Changing Lanes» («Spurwechsel») heisst Roger Michells neuer Film, und sein Titel ist durchaus auch Programm für seinen Regisseur. Mit «Notting Hill» hat dieser eine der besten romantischen Komödien der Neunzigerjahre gedreht: kitschig wie ein Roy-Orbison-Song, aber genauso schön. Nun also der persönliche Spurwechsel: «Changing Lanes» ist ein intelligentes Drama, das existenzielle Fragen stellt, ohne in Rührseligkeiten zu versinken; ein Film, der den Stand der Dinge in der Ellbogengesellschaft zu beleuchten versucht, ohne allzu penetrant den mahnenden Zeigefinger zu erheben. Das mit pointierten Dialogen gespickte Drehbuch von Chap Taylor und Michael Tolkin gehört schlicht zum Besten, was Hollywood in den letzten Jahren hervorgebracht hat, und es ist von Michell mit grossem formalem Gespür und perfektem Timing umgesetzt worden. Der noch recht unerfahrene Regisseur hat für sein Thema genau die richtige Sprache gefunden. Angefangen bei der visuellen Ausgestaltung, die das hektische Pulsieren der Grossstadt glänzend einzufangen vermag, über den schlichten, die Bilder aber kongenial unterstützenden Soundtrack bis hin zur Besetzung  hat Michell alles richtig gemacht.

Fliessende Grenzen

Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch sind in «Changing Lanes» fliessend; Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen, ist somit praktisch unmöglich. Ben Affleck – gewiss nicht der Talentierteste unter Hollywoods Nachwuchskräften – und der enorm vielseitige Samuel L. Jackson verkörpern ihre komplex gezeichneten Figuren überzeugend. Auch in den Nebenrollen u.a. mit Toni Collette und Dylan Baker toll besetzt, lässt «Changing Lanes» eigentlich überhaupt keine Wünsche offen. Selbst der etwas gar versöhnliche Schluss ist akzeptabel, zumal auch in der Ellbogengesellschaft Anstand und Grosszügigkeit zumindest eine Option sind.