Von Sandro Danilo Spadini
Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig stand ein Mann im Zentrum, der gar keinen Preis gewonnen hat: Schauspieler Mickey Rourke, der nach Jahren des Suffs und anderweitig
herbeigeführten Rauschs in Darren Aronofskys Siegerfilm «The Wrestler» ein fulminantes Comeback feiert. Rourkes Rückkehr aufs cineastische Parkett zeichnete sich freilich schon länger ab –
namentlich nachdem ihn der inszenatorische Krawallmacher Tony Scott wieder regelmässig in kleineren Rollen besetzt hatte und vor allem nachdem ihm Robert Rodriguez vor drei Jahren in der
Comic-Verfilmung «Sin City» gar eine etwas weitläufigere und würdige Profilierungsplattform geboten hatte, auf der sich der als Rabauke verschriene Ex-Star wieder einmal standesgemäss austoben
konnte. Wiewohl Rourke in der Rolle des barmherzigen Ungeheuers Marv unter den dicken Make-up-Schichten kaum zu identifizieren war, begeisterte seine Leistung Kritik und Publikum gleichermassen.
Doch einstweilen war das nur ein weiterer kleiner Schritt zurück in die erfolgreiche Vergangenheit. Denn streng genommen ist ein Comeback in Hollywood erst dann geschafft, wenn man mal wieder die
Hauptrolle in einer grossen Produktion wie eben «The Wrestler» ergattert hat.
Formen des Karrierekillers
Wenngleich sich also die Anzeichen für die Wiederkehr des Mickey Rourke zuletzt verdichtet haben, ist so etwas mitnichten selbstverständlich – zumal Hollywood mit seinen erloschenen Stars sehr
unbarmherzig sein kann. Verstärkt gilt dies für Leute, die abseits der Kamera unangenehm auffallen. Substanzmissbrauch, zumal medial belegter, ist etwa im neuen, sauberen Hollywood so gar nicht
mehr chic. Was einst als wild und gleichsam startypisch galt, ist in Zeiten der anvisierten demografischen Komplettabdeckung schwer verpönt. Doch auch Ausrutscher anderer Natur können zum
Stolperstein werden: Die des peinlichen Ladendiebstahls überführte Winona Ryder etwa, vor ihrem Fauxpas noch einer der funkelndsten Sterne am Hollywood-Firmament, müsste das umgehend bestätigen.
Ben Affleck wiederum, unlängst noch Richtung Kino-Olymp unterwegs, haben neben Filmflops und Rehab-Aufenthalt auch die unsäglichen Klatschgeschichten um seine Beziehung mit Jennifer Lopez die
Karriere vorerst gekillt. Und die so furios eingeläutete Kinolaufbahn von Chloë Sevigny, die vormalige Ikone des Independent-Kinos, wurde von der berüchtigten Fellatio-Szene in «The Brown Bunny»
förmlich weggeblasen. Wenn sie Glück haben – wie Sevigny, Charlie Sheen oder Kiefer Sutherland –, landen dergestalt oder noch anderer Art gestrauchelte Stars immerhin weich im mittlerweile
bequemen TV-Schoss; wenn sie jedoch Pech haben, wird ihnen allenfalls noch zugestanden, in schäbigen Videoproduktionen an der Seite von Menschen fragwürdiger Reputation mitzutun.
Dem Verderben entronnen
Ebendieses Schicksal ereilte Mitte Neunziger auch Mickey Rourke, der auf dem Tiefpunkt seiner Laufbahn mal in einem Film mit Testosteron-Monstrum Jean-Claude Van Damme und Basketball-Rohling
Dennis Rodman gesichtet wurde. Wirklich überraschen vermochte Rourkes Absturz indes nicht. Schon nach dem Dreh von Alan Parkers «Angel Heart», in welchem er eine karrieredefinierende Performance
als abgehalfterter Privatdetektiv abgeliefert hatte, schwadronierte der just zum neuen De Niro erkorene Ex-Boxer von einem womöglich baldigen Ende seines filmischen Tuns und einer Rückkehr in den
Ring. In diesen stieg er Anfang Neunziger dann auch tatsächlich – mit richtigem Schauspielern war da ja schon kaum mehr was los. Als Karrierekiller hatte sich der Erotikstreifen «Wild Orchid»
erwiesen, ein dilettantischer Trittbrettfahrer seines Hits «Nine ½ Weeks». Glaubte man freilich Rourke, war ihm das ziemlich schnurz. Allein: So richtig ernst nehmen konnte man den Mann, der 1982
mit den Kultfilmen «Diner» und «Rumble Fish» durchgestartet war, damals schon nicht mehr. Sein Verhalten war mittlerweile, milde ausgedrückt, so exzentrisch (und viel zu oft auch gewalttätig)
geworden, dass nur noch eine Diagnose möglich war: Mickey Rourke war völlig meschugge und auf direktem Weg ins totale Verderben. Dass er sich doch nochmals aufgerappelt hat, verdanke er seinem
Psychotherapeuten. Dieser habe ihm geholfen, seine Kindheitstraumata zu überwinden und das daraus resultierende Gewaltpotenzial ruhen zu lassen. Normal im engeren Sinne ist Mickey Rourke darob
zwar keineswegs geworden, doch immerhin einsichtig. Einem Reporter der «Los Angeles Times» sagte er kürzlich achselzuckend: «Ich habe alles verloren. Mein Haus, meine Frau, meine Glaubwürdigkeit,
meine Karriere.» Wenigstens letztere beiden Dinge sind nun wieder zum Greifen nah. Er ist nach «The Wrestler» jedenfalls auf dem besten Weg.
Oscar winkt
Einen langen Marsch auf der Verliererstrasse hat auch Robert Downey Jr. hinter sich, der vor über 20 Jahren mit der Rolle eines dem Tod geweihten Kokainsüchtigen in der
Bret-Easton-Ellis-Verfilmung «Less Than Zero» sein späteres reales Schicksal beinahe vorweggenommen hätte. Downey ist zwar anders als Rourke in Hollywood schon länger wieder in den Rang der
Persona grata aufgestiegen, musste aber ebenfalls bis heuer warten, um endlich wieder in einer Grossproduktion an vorderster Front zu stehen. Mit der Hauptrolle in «Iron Man» ist nun aber auch
sein Comeback formvollendet vollzogen. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, sei indes zu bedenken gegeben, dass Downey Anfang dieses Jahrzehnts schon einmal seine Auferstehung gefeiert
hat. Einen Golden Globe gar brachte ihm sein temporäres Engagement in der TV-Serie «Ally McBeal» ein; doch alsbald war der nach etlichen Verhaftung wegen Drogenmissbrauchs vermeintlich Geläuterte
nicht mehr auf Linie, sondern schnupfte selbige wieder und wurde vom sauberen Set gekickt. Eine Entziehungskur später tauchte Downey dann immer öfter in profilierten Projekten auf: etwa in George
Clooneys «Good Night, and Good Luck», dem «imaginierten» Diane-Arbus-Porträt «Fur» oder David Finchers «Zodiac». Und nun ist er nicht nur der Iron Man, sondern dank einer Weltklasse-Leistung in
der Ben-Stiller-Klamotte «Tropic Thunder» laut einschlägigen Branchenpublikationen sogar ein ernsthafter Oscar-Kandidat. Gleiches wird auch über Mickey Rourke gesagt. Man wird wohl bis zu den
Nominierungen im Januar warten müssen, um sagen zu können, welcher der beiden «Bad Boys» das spektakulärste Hollywood-Comeback seit John Travolta vollzogen hat.
Welcher Star vergangener Tage findet als Nächster zu verblasstem Ruhm zurück? Hier einige mögliche Kandidaten:
Tom Selleck («Magnum»): letztes Ausrufezeichen mit «In & Out» (1997); unlängst gesichtet in der TV-Serie «Las Vegas».
Theresa Russell («Black Widow»): letztes Ausrufezeichen mit «Wild Things» (1998); unlängst gesichtet im Blockbuster «Spider-Man 3».
Peter Weller («RoboCop»): letztes Ausrufezeichen mit «Mighty Aphrodite» (1995); unlängst gesichtet in der TV-Serie «24».
Debra Winger («Terms of Endearment»): letztes Ausrufezeichen mit «Forget Paris» (1995); unlängst gesichtet im kommenden Festivalhit «Rachel Getting Married».
Burt Reynolds («Smokey and the Bandit»): letztes Ausrufezeichen mit «Boogie Nights» (1997); unlängst gesichtet im US-Kino-Flop «Deal».
Madeleine Stowe («Twelve Monkeys»): letztes Ausrufezeichen mit «We Were Soldiers» (2002); unlängst gesichtet in der TV-Serie «Raines».
Tom Hulce («Amadeus»): letztes Ausrufezeichen mit «Fearless» (1993); unlängst gesichtet im Blockbuster-Flop «Jumper».
Ally Sheedy («The Breakfast Club»): letztes Ausrufezeichen mit «High Art» (1999); unlängst gesichtet im Komödieflop «Harold».
Steve Guttenberg («Police Academy»): letztes Ausrufezeichen mit «Home for the Holidays» (1995); unlängst gesichtet in der TV-Serie «Veronica Mars».
Lisa Bonet («The Cosby Show»): letztes Ausrufezeichen mit «High Fidelity» (2000); unlängst gesichtet im Testosteron-Abenteuer «Biker Boyz».
F. Murray Abraham («Amadeus»): letztes Ausrufezeichen mit «Finding Forrester» (2000); unlängst gesichtet im Kriegsdrama «Quiet Flows the Don».
Kelly McGillis («Top Gun»): letztes Ausrufezeichen mit «The Monkey’s Mask» (2000); unlängst gesichtet in der TV-Serie «The L Word».
Richard Chamberlain («Dornenvögel»): letztes Ausrufezeichen mit «The Return of the Musketeers» (1989); unlängst gesichtet in der Brachialkomödie «I Now Pronounce You Chuck &
Larry».
Valerie Kaprisky («Breathless»): letztes Ausrufezeichen mit «Une place parmi les vivants» (2003); unlängst gesichtet im Sequel «Le coeur des hommes 2».
Tom Berenger («Platoon»): letztes Ausrufezeichen mit «Training Day» (2001); unlängst gesichtet in der TV-Serie «October Road».
Jennifer Grey («Dirty Dancing»): letztes Ausrufezeichen mit «Bounce» (2000); unlängst gesichtet in David Mamets «Redbelt».