Was würde Clint tun?

Der Clint-Eastwood-Vertraute Robert Lorenz hat einen Clint-Eastwood-Film ohne Clint Eastwood gedreht. Dafür ist Liam Neeson in «The Marksman» mit von der technisch tadellosen Standardpartie. Warum auch nicht.

Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Und dann kommt auch noch dieser Lackaffe von der Bank vorbei und erklärt ihm, dass seine Ranch gepfändet werde. Jim Hanson (Liam Neeson) hat da gerade seine Amerika-Flagge vom Mast geholt, und wenn es für ihn – und das für rustikale Symbolik empfängliche Publikum –noch eines Beweises bedurft hätte, dass dieses Land vor die Hunde geht, dann war es das, dieses Drangsalieren kleiner Leute wie ihn: Man zahle sein Leben lang brav seine Steuern und gehe einer ehrlichen Arbeit nach, wird er später in der örtlichen Kaschemme seiner Tochter Sarah (Katheryn Winnick) denn auch klagen, aber das reiche heutzutage ja nicht mehr. Aber eben: Jim ist da sowieso schon längst desillusioniert. Er, der einst seinem Land als Sniper bei den Marines in Vietnam gedient hat, kriegt nämlich tagtäglich das Versagen der Regierung vor Augen geführt, muss mit ansehen, wie die da oben in Washington untätig bleiben, während sie hier unten in Arizona an der Grenze zu Mexiko förmlich überschwemmt werden von «IAs»: «Illegal Aliens» oder dann halt illegalen Einwanderern. Aber einer wie Jim kann da natürlich nicht mit verschränkten Armen zuschauen; nein, so einer packt zu, nimmt die Dinge in die Hand und macht auf eigene Faust den Job, den die Regierung nicht macht. Und so ist Jim eben auch an jenem verhängnisvollen Tag in seinem Truck auf Patrouille, als Rosa (Teresa Ruiz) und ihr kleiner Sohn Miguel (Jacob Perez) auf ihrer Flucht vor dem Kartell gerade die Grenze passieren. Einen Moment lang zögert er zwar, nachdem er die nackte Angst in Rosas Augen gesehen hat; doch dann meldet er die beiden trotzdem pflichtbewusst der Grenzkontrolle. Als er dann freilich auf der anderen Seite des Zauns die widerlichen Brutalos sieht, die hinter Rosa und Miguel her sind, zögert er nicht mehr und greift zur Flinte.

Steak: rare; Whiskey: doppelt

Das Resultat dieses grenzwertigen Recontres ist denkbar tragisch: Rosa erleidet eine tödliche Schussverletzung, und Jim macht sich in dem barbarischen Schlächter Mauricio (Juan Pablo Raba) einen Feind fürs Leben, nachdem er dessen Bruder über den Haufen geschossen hat. Damit jedoch sollte für Jim die Sache dann auch erledigt sein; er überlässt Miguel der Obhut der Grenzpolizei und will gerade seiner Wege gehen, als er realisiert, dass das Kartell nicht daran denkt, den Jungen in Frieden zu lassen. Und so stellt sich ihm nun die Frage, die ja eigentlich gar keine ist. Denn da ist dieser arme Waisenjunge, dort die üblen Jungs und ganz tief in Jim drin dieses absolut untrügliche Wissen darum, was gut und gerecht ist. Sprich: Er wird die Sache also ganz sicher nicht auf sich beruhen lassen und schon das Richtige tun, sich brummelnd und grummelnd dieses Jungen annehmen, Rosas Bitte entsprechen und ihn zu den Verwandten nach Chicago bringen. Und wie wir alle ahnen, nein wissen, zu satten einhundert Prozent todsicher wissen, wird er dabei nicht nur Rosa rächen, sondern auch seine verhärteten Einstellungen ein wenig aufweichen und sich selbst wieder etwas Leben und Menschlichkeit einhauchen. Und sollte er dann doch mal an einen Punkt gelangen, wo er nicht mehr recht weiss, was zu tun ist, dann muss er sich einfach fragen, was wohl Clint tun würde. Denn ja, nochmals zur Bestätigung: Die Rolle des Jim wird tatsächlich nicht von Clint Eastwood gespielt. Sie wurde zwar ziemlich sicher für ihn geschrieben; jedenfalls wurde sie geschrieben von Regisseur Robert Lorenz, der Eastwood lange Jahre als Regieassistent diente, seit «Mystic River» mittlerweile als dessen Produzent amtet und ihn vor fast zehn Jahren, in seiner bisher einzigen Regiearbeit «The Trouble with the Curve», sogar einmal in Szene setzen durfte. Aber gespielt wird dieser ur-, dieser ultraamerikanische Part eines bärbeissig-brummbärigen einsamen Wolfs, der sein Steak rare und den dazu gereichten Whiskey doppelt nimmt, vom Nordiren Liam Neeson, diesem einstigen Feingeist, der mit Mitte 50 den Haudegen in sich entdeckt hat und in den letzten 13 Jahren ebenso viele Actionfilme angeführt hat (und dazu in zwei Dutzend weiteren Filmen physisch aufgetreten ist, zahllose Sprecheinsätze und einige TV-Auftritte hatte). Neeson geht mittlerweile ja auch auf die 70 zu, und diese zusätzlichen Lenze auf dem Buckel machen ihn nur noch kerniger oder eben clintiger. Und daher geht das durchaus in Ordnung, wenn da ein Clint-Eastwood-Vertrauter meint, er könne einen Clint-Eastwood-Film ohne Clint Eastwood drehen. Neeson wirds schon richten. Und wer das nicht glaubt, soll sich doch einfach mal anschauen, wie hartschalig-weichkernig er hier mit dem rührenden mexikanischen Waisenjungen interagiert.

Zweck knapp erfüllt

Okay, das wäre geklärt: kein Clint also (bzw. nur einmal ganz kurz auf einem Fernsehschirm in einem Motelzimmer), dafür immerhin Neeson. Aber was gibt «The Marksman» denn eigentlich so her? Nun, nicht übertrieben viel. Robert Lorenz ist jetzt nämlich nicht gerade der Scharfschütze vom Dienst; entsprechend selten trifft er ins Schwarze. Aber in Richtung Zielscheibe geht das hier dann doch die meiste Zeit. Was als moderner Western beginnt, driftet bald in ein Roadmovie ab, das wohl mit keinerlei Überraschungen aufwartet, dafür auf seinem langen Weg von Arizona über New Mexiko, Oklahoma, Texas und Arkansas nach Chicago mit ein paar sehenswerten Aufnahmen. Und weil Lorenz dabei ordentlich Tempo rausnimmt und mehr tuckert als rast, bleibt auch Zeit für das eine oder andere sympathische Geplänkel mit Zufallsbekanntschaften und für eine grosse Prise pures Amerika, das wir quasi aus Miguels Sicht mitbestaunen dürfen: in Autowerkstätten, Waffengeschäften, Motels, Kirchen, an improvisierten Schiessständen oder Lagerfeuern. Dass hier nun philosophisches Geschütz aufgefahren würde, darf man indes nicht erwarten; und auch wenn es da und dort ein bisschen menschelt, geht das nicht wirklich ans Herz und schon gar nicht rauf zur Tränendrüse. Denn so wie alles an Jim old-school ist, so ist das letzten Endes dann eben doch ein ziemlich alter Hut, den sich Neeson da anziehen muss, Clints Hut halt. Aber ja: Technisch ist das trotz eines recht legeren Umgangs mit der Logik sicher tadellos, und seinen nicht allzu ambitionierten Zweck erfüllt «The Marksman» dann doch knapp mehr recht als schlecht.