von Sandro Danilo Spadini
Als die Fifa im Dezember 2000 den Fussballer des Jahrhunderts wählte, kam Diego Armando Maradona mit gerade mal 6 Prozent der Stimmen hinter Pelé und Alfredo Di Stefano lediglich auf Rang 3. Ein
lächerliches Ergebnis, eine Farce gar, die freilich auch äussert viel sagend war. Dies umso mehr, als «El pibe d’oro», der Goldjunge, bei der gleichzeitig abgehaltenen Fifa-Internetwahl, bei der
anstelle von Funktionären die Fans das Sagen hatten, mit riesigem Vorsprung auf Pelé sich Platz eins sicherte. Maradona, der Held des kleinen Mannes und selbst ernannte Kämpfer für die
Unterdrückten, hatte die Volkswahl gewonnen, derweil ihn die imagebewussten Autoritäten, die verfluchten Mächtigen ins Abseits schickten.
Immer wieder Gott
An welche Stelle der serbische Starfilmer Emir Kusturica («Underground») Diego gewählt hätte, braucht nicht gefragt zu werden: Der Dokumentarfilm «Maradona» lässt an seiner Hochachtung für den kleinen
Dicken keine Zweifel aufkommen. Immer wieder ist darin dieses eine Wort zu hören: Gott – und gemeint ist nicht der im Himmel, sondern der auf dem Rasen. Maradona hat diesem Vergleich bekanntlich
selbst Vorschub geleistet, als er sein Handtor bei der WM 1986 im Viertelfinale gegen die wegen des Falkland-Kriegs verhassten Engländer als einen Treffer durch die Hand Gottes qualifizierte. Und
nicht nur die Iglesia Maradoniana, die Kirche Maradonas, die Paare im «Namen Diegos» vermählt und das «Diego Unser» betet, hat die spirituelle Vorlage dankbar aufgenommen. Auch einem «Ave Diego»
kann man in der bewusst ohne Distanz unter fast stetiger Kamerapräsenz des Regisseurs realisierten Dok lauschen, wie man ohnehin in bester Kusturica-Tradition sehr viel, ja fast zu viel Musik zu
Ohren bekommt. Es ist also laut hier, es herrscht Chaos. Es war auch immer laut und chaotisch um Maradona. Inmitten all dessen gab es indes immer gleichsam ordnende Kräfte: die Schönheit und das
Geniale. Insofern hat Maradonas Leben viel mit den Filmen von Kusturica gemein, was dieser auch sogleich betont, indem er seinen realen Helden mit jenen aufmüpfigen oder selbstzerstörerischen
(Anit-)Helden vergleicht, die sein cineastisches Universum bevölkern. Irgendwann jedoch, noch zu seiner schon von ruiniertem Ruf und ungeniertem Leben geprägten Aktivzeit, brach eine alles Schöne
verdeckende Finsternis über Maradona herein – jene Finsternis, vor der sich selbst die Götter fürchten müssen. Im April 2004 dann musste fast stündlich mit der Nachricht von seinem Tod gerechnet
werden. Nach Tagen auf der Intensivstation umdribbelte El Diego den Sensenmann aber nochmals und kehrte ins Leben zurück. Wenig später, inzwischen dank Magenverkleinerung dünner und gesünder,
traf er auf einen seiner grössten Fans: Emir Kusturica.
Voller Skurrilitäten
Ab April 2005 war Kusturicas Kamera ein fixer Bestandteil im Leben Maradonas. Sie war in Buenos Aires dabei, als das nunmehr rehabilitierte Idol in die Bombonera, die Heimstätte seiner Boca
Juniors, zurückkehrte; oder als der «Messias» seiner langjährigen Wahlheimat Napoli eine triumphale Aufwartung machte; und – diesmal weniger rührend denn amüsant – als Maradona im leeren Stadion
von Kusturicas Roter Stern Belgrad eines seiner sagenhaftesten Tore nachstellte, das er einst im Dress von Barcelona erzielt hatte. Dem Fussball gilt trotz all dem hier freilich nicht das
Hauptaugenmerk. Brennendes Interesse zeigt Kusturica vielmehr vor allem an Maradonas politisch ganz links aussen anzusiedelnden Ansichten und Aktivitäten, die ihren Ursprung gewiss nicht zuletzt
in seiner neapolitanischen Blütezeit haben, als er sich als Vertreter des unterdrückten Südens erfolgreich gegen den vermaledeiten reichen Norden auflehnte. Maradona, der Rebell und Revolutionär
– stolz zeigt er im Gespräch seine Tattoos: Fidel auf der Wade, Che am Oberarm. Überhaupt Castro: Mit ihn verbindet den Star eine ganz besondere und absonderliche Beziehung. Einmal ist er zu
sehen, wie er im Swimmingpool ziemlich tumb «Fidel, olé, olé, olé» skandiert. Eine Szene, die zu den vielen Skurrilitäten gehört, bei denen Kusturica ganz in seinem Element ist – gleich wie die
Schilderung eben der Maradona-Kirche und eines Stripclubs, in welchem die knackigen nackten Damen aussichtslos mit Maradona-Videos um die Gunst der Männer konkurrieren.
Das Spiel mit dem Star
Bei aller Heldenverehrung verhehlt Kusturica indes auch nicht, dass Gott einige Fehler unterliefen, als er seinesgleichen schuf. Erbarmungslos hält er die Kamera drauf, wenn Maradona mal wieder
unfassbaren Stuss faselt. Und ein Funke Kritik sprüht sogar, wenn er gegen Schluss nach mehreren Montagen mit Maradonas Toren auch eine mit dessen Torheiten ablaufen lässt. Die totale
Selbsteingenommenheit und das Selbstdarstellerische scheint er seinem Untersuchungsobjekt derweil nicht krumm zu nehmen – ist er, der hier quasi als Co-Star seines treffenderweise offiziell mit
«Maradona by Kusturica» betitelten Films agiert und immer wieder Szenen seiner Werke einfliessen lässt, doch selbst auch nicht ganz frei von solchen Untugenden. Immerhin zeigt sich Maradona
mittlerweile einsichtiger als etwa noch in seiner Autobiografie. Wenn er über seine Sucht und das darob verpasste Familienleben spricht, wirkt er gar geläutert. Und auch für Witz hat es Platz,
gerade in den als «Mehrteiler» konzipierten Trickfilmsequenzen, in welchen sich Maradona bei seinem ebenfalls 1986 gegen England erzielten Jahrhunderttor anstatt mit Kickern mit seinem
persönlichen Kabinett des Bösen konfrontiert sieht: unter anderen mit Thatcher, Blair und Bush. Auch dank solcher Elemente ist Kusturica letztlich eine enthusiastische und verspielte
Porträt-Collage eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts geglückt – wiewohl er im letzten Drittel etwas abbaut, einige Längen zulässt und mitunter auf recht umständlichen Wegen zum
Punkt kommt. Doch Ausdauer war ja auch nicht unbedingt die Stärke des Diego Armando Maradona, des göttlichsten aller Fussball-Götter...