Es war einmal ein Fisch...

Die Auseinandersetzung eines Sohnes mit seinem sterbenden Vater bildet in «Big Fish» den Rahmen für eine unvergessliche Reise in eine Welt des Fantastischen und Zauberhaften.

 

von Sandro Danilo Spadini

Und auf einmal zerrinnt die Zeit. So richtig kennen gelernt hat er ihn sein ganzes Leben lang nicht, aber das war ja nicht seine Schuld. Jetzt liegt er im Sterben, sein Vater, der grosse Geschichtenerzähler, der notorische Lügenbold, der ausschmückende Fantast, der immerzu von den unglaubwürdigsten Stationen seines Lebens berichtet hat und dabei nie etwas von sich preisgab. Überdrüssig war er seiner Geschichten, gelangweilt, genervt, doch jetzt ist die Zeit gekommen, um einen letzten Versuch zu wagen, zum wahren Wesen seines Vaters vorzudringen. Und was macht der? Klar, er erzählt wieder und wieder seine Geschichten. Vom Tag der Geburt seines Sohnes, von seiner Jugend als Tausendsassa, von seiner Zeit beim Zirkus, von seinem Werben um die Frau seines Lebens, vom Krieg, von Reisen und von allerhand wundersamen Wesen. Alles erstunken und erlogen, ausgeschmückt und verherrlicht, weit hergeholt und unglaubwürdig. Und doch. Der Alte hält auch an seinem Sterbebett noch daran fest, er ist gewissermassen zu seinen Geschichten geworden.

Es werde Licht

Hexen, Riesen, Zauberei, Märchendörfer und natürlich der grosse Fisch – das ist die Welt von «Big Fish», dem bildgewaltigen, farbenfrohen, sonnendurchfluteten neuen Film von Tim Burton. Tim Burton? Moment mal! Das ist doch der Mann, der die berühmteste Fledermaus der Welt durch eine finstere Version von Gotham City fliegen liess, der dem schlechtesten Regisseur aller Zeiten ein melancholisches Denkmal in Schwarz-Weiss setzte, der Johnny Depp im von Nebelschwaden behangenen Wald Köpfe einsammeln liess, der irgendwo im All ein im doppelten Sinn gruseliges Affentheater veranstaltete. «Batman» (Teil eins und zwei), «Ed Wood», «Sleepy Hollow», «Planet of the Apes» – die meisten Tim-Burton-Filme haben sich bisher nicht gerade durch einen allzu überschwänglichen Umgang mit Licht und Farbe hervorgetan. Nun aber scheint der Mann in Schwarz den Lichtschalter gefunden, die Vorhänge heruntergerissen und den Malkasten wiederentdeckt zu haben. Denn «Big Fish» ist ein rundum lebensbejahender, märchenhaft und poetisch schöner Film, der dann und wann zwar durchaus auch Kindlich-Schauriges zeigt, über dem aber grösstenteils die Sonne scheint.

Hohe Erzähl- und Regiekunst

Ein grossartiger Albert Finney spielt den sterbenden, ein charmanter Ewan McGregor den in den Erzählungen umherstreunenden Vater, ein starker Billy Crudup schliesslich den nach Antworten suchenden Sohn. Beeindruckend auch der Rest der Besetzung mit der zweifachen Oscar-Preisträgerin Jessica Lange als Mutter und Steve Buscemi, Helena Bonham-Carter und Danny DeVito in schillernden Nebenrollen. Beste Unterhaltung ist bei einer solchen Ansammlung von Talent quasi vorprogrammiert, und was Burton drumherum veranstaltet, ist vielleicht das Beste, was er in seiner Karriere bislang zu Stande gebracht hat. Jedes zweite Bild ist von solch atemberaubender Wucht, dass man es am liebsten ausschneiden und einrahmen würde. Mut zur Übertreibung und Hang zum Kitsch sind folgerichtig auch auf optischer Ebene Programm, wobei Burton das Märchenhafte nicht übertreibt und zumindest mit einem Fuss auf dem Boden bleibt. Die Episoden sind flott, witzig und mit augenzwinkerndem Enthusiasmus erzählt, Tempo und Timing stimmen zu jeder Zeit. Und ganz unauffällig lässt Burton hie und da gar noch ein wenig Tiefgang in seine Geschichte mit einfliessen – freilich ohne Geigengewimmer, ohne falsches Pathos, ohne einem die Moral der Geschichte unter die Nase reiben zu wollen. Das Schönste an «Big Fish» ist aber, dass in jeder Einstellung die liebevolle Hingabe des Regisseurs an dieses Projekt zu spüren ist. Diesen Film nicht zu lieben, fällt auch deshalb schwer. Hohe Erzählkunst trifft hier hohe Regiekunst, was unter dem Strich grosses Kino ergibt. Und der Schluss? Und wie geht die Geschichte aus? Schamlos, zügellos, hemmungslos kitschig – und natürlich wunderschön.