Ein Monument aus der Maulwurfperspektive

«Judas and the Black Messiah» ist ein wichtiger und wuchtiger, intelligenter und informativer, energischer und energetischer Film über die Bürgerrechtsikone Fred Hampton. Vor allem aber ist das formidabel fotografiert und genial gespielt.

Warner Bros.

von Sandro Danilo Spadini

Fred Hampton und Bill O’Neal – das sind zwei junge afroamerikanische Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und die natürlich gerade deshalb so ein grossartiges Kinoduo abgeben. Hier der 21-jährige intellektuelle Revoluzzer, der als Führer des Chicagoer Ortsverbands der Black Panthers bereits zu einer Art Ikone der Bürgerrechtsbewegung emporgestiegen ist. Dort der gewöhnliche Kleinkriminelle, der in seinen 19 Jahren auf dieser Welt rein gar nichts getan hat, was Anlass zur Vermutung gäbe, dass dereinst ein Film über ihn gedreht werden könnte. Und doch sitzt dieser Bill O’Neal (LaKeith Stanfield) nun, zum Auftakt des sechsfach Oscar-nominierten Thrillerdramas «Judas and the Black Messiah», vor der Kamera einer Dokfilm-Crew und erzählt, wie das damals war, Ende der Sechziger, kurz nach der Ermordung Martin Luther Kings, als er wider Willen und quasi unter Zwang zu einer relevanten Figur der amerikanischen Geschichte avancierte – als er vom Autoknacker, der mit einem gefälschten Polizeiausweis aufgegriffen wird, zum FBI-Spitzel umgepolt wird mit der Order, die Black Panthers zu infiltrieren, die laut J. Edgar Hoover (Martin Sheen) «grösste Bedrohung unserer nationalen Sicherheit, grösser noch als die Russen und die Chinesen». Der ehrgeizige junge Agent Roy Mitchell (Jesse Plemons) hat den Auftrag gefasst, O’Neal auf den so klug und so verdammt gefährlich daherredenden Fred Hampton (Daniel Kaluuya) anzusetzen; und er tut das mit dem heiligen Furor des um seine Privilegien und dem feurigen Eifer des um seine Karriere bangenden Bullenschweins, wie die Panthers ihre Feinde in Uniform zu schimpfen pflegen. Wie sich freilich weisen wird, hat auch Mitchells skrupellose Hinterhältigkeit ihre Grenzen: Als Hoover ihn zu immer extremeren, immer ungeheuerlichen Missetaten anstachelt, stutzt und zweifelt auch er. Doch zögern, das tut er dann doch nicht.

Doku-Charakter und Kino-Look

Die Ode an den im Dezember 1969 den Märtyrertod gestorbenen Fred Hampton – und das ist «Judas and the Black Messiah» am Ende zweifellos, ohne indes in ein plumpes Polieren seines Heiligenscheins zu verfallen –, diese vor Bewunderung bebende Hymne also, sie wird mithin geschildert durch die Augen jenes Mannes, der diesen «Messias» ultimativ verraten hat. Das ist doch schon mal eine höchst interessante, weil gebrochene Perspektive, die Regisseur und Co-Drehbuchautor Shaka King da gewagt hat. Und es ist das beileibe nicht der einzige Kniff, mit dem der 41-jährige New Yorker zu begeistern vermag. Bis dato eher nicht für allzu Gehaltvolles aktenkundig geworden, bringt King hier nun Kinotraditionen und Innovationsgeist mit einer bemerkenswert souveränen Geschmeidigkeit in Einklang und hat dabei immer alles im Griff: Den klassischen Maulwurf-Topos, wie wir ihn aus Mafiafilmen à la «Donnie Brasco» oder «The Departed» kennen und schätzen, verknüpft er mit einem happig informativen Stück Zeitgeschichte, das Aaron Sorkin kürzlich ungleich pompöser in «The Trial of the Chicago 7» aufgerollt hat; das Ganze variiert er mit Manierismen des Siebzigerjahre-Kinos, würzt es mit einem ausgefuchsten Soundtrack aus freakigen Jazz-Irrläufern, mitreissenden Perkussionen und beklemmenden musikalischen Fingerzeigen, garniert es mit zeitgerechten Set-Schmankerln und krönt es schliesslich mit der exquisiten Kameraarbeit des Steve-McQueen-Vertrauten Sean Bobbitt, der es hauptsächlich geschuldet ist, dass Kings Film zwar einen dokumentarischen Charakter, aber einen maximal kinohaften Look hat.

Ausgeprägtes Rhythmusgefühl

Dass es in «Judas and the Black Messiah» reichlich gesprächig zu- und hergeht, liegt in der Natur der politisch und historisch eminenten Sache. Die Kunst ist es dabei, ob alledem nicht geschwätzig zu werden. Und die noch grössere Kunst ist es, das Momentum und also das Interesse des Publikums nicht zu verlieren. King schafft beides fast immer. So lebhaft und energiegeladen wie in den quirlig choreografierten und vibrierend inszenierten Startminuten voller rhetorischer Paukenschläge und musikalischer Feuerwerke wird es zwar nicht über die ganzen zwei Stunden Spielzeit ablaufen; dank Kings ausgeprägtem Rhythmusgefühl fügen sich indes etwa auch die intimeren und philosophischen Sequenzen gerade zwischen Hampton und seiner schwangeren Lebensgefährtin Deborah Johnson (Dominique Fishback) unproblematisch in dieses filmgewordene Pulverfass, diesen kinogewordenen Hexenkessel und finden also ihren Platz in einem facettenreichen, nicht wirklich komplizierten, aber auch nicht einfachen Drama, das sich auf einen kurzen Ausschnitt aus dem zu kurzen Leben und Wirken Fred Hamptons beschränkt. Es ist dies einer dieser sogenannt relevanten Filme, der es indes schafft, bei allem legitimen Ernst und Sendungsbewusstsein nie ranzig zu werden. Denn King verwandelt seine Wut in Energie, sein Engagement in Wucht, verpackt seine bittere Botschaft in betörende Bilder und übersetzt seine historische Aufklärungsarbeit in eine eloquente Kinosprache. Das heisst zwar nicht, dass sein Film frei von zähen Momenten wäre. Aber selbst in diesen fesseln dann immerhin noch die Akteure vor der Linse. So erliegt der stets liefernde Jesse Plemons nie der Versuchung, den intrigierenden Agenten zum Bilderbuch-Bösewicht herunterzukarikieren, sondern vermenschlicht diesen erstbesten Ausführungsgehilfen einer korrupten Staatsmacht zumindest ein Stück weit und lässt immer wieder dessen schwindende Überzeugung erahnen. Auch der Oscar-nominierte LaKeith Stanfield («Knives Out») gibt seinen Zufalls-«Judas» mehrdimensional: zwischen windigem Opportunisten und verlorenem Jüngling, dem die ganze Sache bei aller Coolness und Täuschungskunst allmählich über den Kopf wächst und der einfach nur noch hier rauswill. Die unbestrittene Hauptattraktion ist freilich der Oscar-prämierte Auftritt des britischen Shootingstars Daniel Kaluuya, der bereits in «Get Out», «Widows» und «Queen & Slim» nicht eben mit Charisma gegeizt hat. Seine Performance ist geradezu magnetisch, magisch – und so ein stolzes Denkmal für ein unvermindert einflussreiches Monument, das am 4. Dezember 1969 vom FBI und der Polizei von Chicago hinterrücks niedergestreckt wurde.