von Sandro Danilo Spadini
Gott sei nicht böse, Gott sei gerecht, postuliert der «Blinde Mann» (Stephen Lang) zu Beginn von
«Don’t Breathe 2» gegenüber der elfjährigen Phoenix (Madelyn Grace). Und es ist da bereits offensichtlich, dass auch er hier ein
wenig Gott zu spielen gedenkt – ausgerechnet er, den wir im auch schon fünf Jahre zurückliegenden ersten Teil dieses Horrorthrillers als seelisch versehrten Golfkriegsveteranen kennen und
fürchten gelernt haben, der sich im Keller unten eine Frau zur Gefangenen hält, die ihm ein Kind gebären soll, als Ersatz für sein Mädchen, das diese einst überfahren hatte. Die Frau ist dann ja
im Kampf gegen jugendliche Eindringlinge vom Blinden Mann versehentlich über den Haufen geschossen worden; aber jetzt, acht Jahre später, ist dieses Monster dann doch noch irgendwie zu einem
neuen Kind gekommen. Dieses belügt er zwar nach Strich und Faden, indem er es glauben macht, es sei sein Spross und der Rest der Familie sei samt dem gesamten Hab und Gut bei einem Brand
ausgelöscht worden; und er drangsaliert es, indem er es einem täglichen Überlebenstraining unterzieht und rigoros von der Umwelt abschirmt. Es besteht gleichzeitig aber kein Zweifel daran, dass
er es gut meint mit Phoenix, dass er alles, wirklich alles für sie tun würde – ein strenger, aber gerechter Gott will er ihr sein, wenn man so will. Wenn nun also abermals Kriminelle sein Haus
heimsuchen und diese es nicht wie die Jungen aus dem ersten Teil auf einen vermeintlichen Schatz in seinem Tresor, sondern auf seinen wahren Schatz Phoenix abgesehen haben, dürfen diese Halunken
mit erheblichem, erbittertem Widerstand rechnen.
Übel und übler
Die Gott-Zeilen zum Auftakt geben aber nicht nur einen Vorgeschmack auf den heiligen Furor, den jene zu gewärtigen haben, die danach trachten, sich am Blinden Mann und der Seinen zu versündigen.
Sie vermitteln auch eine Ahnung davon, dass die Co-Autoren Fede Alvarez und Rodo Sayagues lediglich einen vernachlässigbaren Teil ihrer Schaffenskraft dem Veredeln der Dialoge haben angedeihen
lassen. Eine gediegene Rhetorik ist nun aber auch nicht gerade als Kernkompetenz dieses Genres verschrien; sie einzufordern, scheint insofern einigermassen müssig. Vielmehr gehört plumpes
Parlieren doch recht eigentlich zum Horror-Handwerk, und deshalb darf man das Alvarez und Sayagues ruhig mit einem Nasenrümpfer durchgehen lassen. Dies umso mehr, als die beiden doch versuchen,
auf Handlungsebene so etwas wie Wiedergutmachung zu leisten für den allzu beherzten Griff in die im cineastischen Schreckenskabinett entsorgt geglaubte Mottenkiste der dümmlichen Oneliner: Die
immer kühneren Volten und frivoleren Twists, die sie sich ausgedacht haben, sollen freilich wohl auch von der papierdünnen Figurenzeichnung ablenken, die nicht unschuldig daran ist, dass das
Interesse an der ganzen Keilerei mitunter in den Keller zu sacken droht. Hatten in Teil eins, wo noch Alvarez Regie führte, auch die jungen Einbrecher einen gewissen Hintergrund, so sind die
Rollen in dem von Sayagues inszenierten Sequel weit weniger ambivalent und kristallklar verteilt: Die Verbrecher bleiben gesichtslos und funktional, weisen keinerlei menschliche Züge auf und sind
uns entsprechend gleichgültig. Sie sind die Jäger, die zur Beute werden – Freiwild für den Blinden Mann, dessen monströse Züge im Angesicht des noch Böseren geradezu verblassen und
revisionistisch relativiert werden, auf dass er zum gleichsam mythisch überhöhten Mastermind emporsteigen möge. Mit anderen Worten: Der Blinde Mann, der Mörder und Vergewaltiger von ehedem, wird
hier als das kleinere von zwei Übeln positioniert, und «Don’t Breathe 2» ist als seine persönliche Erlösungsgeschichte konstruiert – womöglich um ihn fit zu machen für eine zukünftige Rolle als
Franchise-Leader.
Nervt nicht, langweilt nicht
Das nun ist nicht nur inhaltlich gewagt und intellektuell gewöhnungsbedürftig; es ist auch ein bisschen unsympathisch und in seinem unverblümten Kalkül viel zu zeitgemäss. Schafft man es indes,
diese konzeptuelle Fehlleistung zu überwinden und den schalen Beigeschmack loszuwerden, so spricht nichts dagegen, dass man auch mit dem Sequel seinen perversen Spass haben wird (hat man den
ersten Teil gar nicht gesehen, erst recht nichts). Der analoge Charme des Vorgängers, der sich zum Sleeper-Hit mauserte und das Zehnfache seiner Produktionskosten einspielte, ist zwar ein Stück
weit verloren gegangen; doch auch Sayagues ist alles andere als ein Blinder, peitscht die Handlung zügig voran und macht gegen Ende hin auch den Genrefans so richtig Freude, wenn er sich mit
immer bizarreren Gemeinheiten und immer ausschweifenderen Grauseligkeiten vollends in die Eskalation stürzt. Vor allem aber kann auch er auf die zwei wichtigsten Asse von «Don’t Breathe» zählen:
den mittlerweile 69-jährigen Stephen Lang («Avatar»), der im gerippten weissen Unterhemd zur unkaputtbaren Kampfmaschine mutiert. Und Kameramann Pedro Luque, Uruguayer wie Alvarez und Sayagues,
der in wiederum waghalsigen Fahrten das eng abgesteckte Tummelfeld dieses schaurig ausgeleuchteten Home-Invasion-Films Zentimeter für Zentimeter vermisst und so ein klaustrophobisches Raumgefühl
vermittelt. Das alles ändert zwar nichts daran, dass hier einmal mehr in blinder Fortsetzungswut alle begründeten Bedenken und logischen Gebote über Bord geworfen wurden und dass auch dieses
Sequel eher von der austauschbaren Sorte ist. In der Summe aber tut der Film, was er soll, und schafft es recht souverän und effizient, während seiner knackigen 98 Minuten Spielzeit weder gross
zu nerven noch zu langweilen.