Es zwitschert noch einmal der süsse Vogel Jugend

In «La giovinezza» sinniert Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino mit illustren Gästen des Flimser Hotels Waldhaus über sein Kernthema: das Alter. Er tut das gewohnt bildgewaltig. Mit Schalk. Und Menschlichkeit.

 

von Sandro Danilo Spadini

Der welkende Schlagersänger und der Fussballer am Karriereende in «L’uomo in più». Der lebensmüde Mafialakai in «Le conseguenze d’amore». Der eklige Alte in «L’amico di famiglia». Der greise Andreotti in «Il divo». Der abgehalfterte Rocker in «This Must Be the Place». Und die pseudofidelen Römer Senioren in «La grande bellezza». Dass sich der italienische Filmemacher Paolo Sorrentino trotz seiner erst 45 Jahre brennend für das Alter und seine Unbilden interessiert, das liess sich schon vorher schwerlich ignorieren. Aber jetzt wird der im Vorjahr Oscar-gekrönte Neapolitaner noch etwas expliziter: «La giovinezza», Jugend, hat er sein siebtes Werk getauft, und über deren Gegenstück lässt er darin zwei gegen 80-jährige Koryphäen der Kultur auf Kur in den Bündner Bergen palavern. Der abgetretene Komponist und Dirigent Fred Ballinger (wunderbar: Michael Caine) lässt dabei wahlweise blasierte Apathie oder blanken Zynismus aufblitzen; der Regisseur und Drehbuchautor Mick Boyle (geradeso wunderbar: Harvey Keitel) steht derweil noch recht im Saft und mischt bisweilen auch ein paar Kraftausdrücke oder eine Portion Nostalgie dazu.

Menschen im Hotel

Dabei sind die beiden frei von schlimmeren Gebrechen, und schön haben sie es hier oben sowieso – es dienten schliesslich zur Hauptsache das Hotel Waldhaus in Flims sowie die Schatzalp als Kulissen. Auch spannend wäre es eigentlich durchaus: So sorgt Freds Tochter (Rachel Weisz) für emotionale Eruptionen, nachdem sie von Micks Sohn (Ed Stoppard) für die (reale) Popsängerin Paloma Faith verlassen worden ist; ein junger Filmstar (Paul Dano) erweist sich als anregender Gesprächspartner; ein Ehepaar im Tiefgefriermodus (Heidi Maria Glössner, Helmut Förnbacher) lädt zu belustigtem Beobachten ein; die amtierende Miss Universum (Madalina Diana Ghenea) bringt im Pool das Blut in Wallung; der Liedermacher Mark Kozelek alias Sun Kil Moon («Birds of Flims»!) liefert lauschige Abendunterhaltung; Diego Armando Maradona (Roly Serrano) jongliert wie der Gott, der er ist, mit Tennisbällen. Und sowohl der Maestro a.D. als auch der Filmzampano bekommen prominenten Besuch: Ein Emissär (Alex Macqueen) der Queen höchstselbst versucht mit wachsender Verzweiflung Fred zu einem Konzert im Buckingham-Palast zu überreden, während Micks Lieblingsdiva (Jane Fonda) spät ihre Aufwartung macht. Doch diese hat dann unschöne Neuigkeiten für das fast fertige vermeintliche Opus Magnum im Gepäck; und die Einladung ins Königshaus ist eher eine Vorladung zum Dirigieren des ewiggleichen Stücks und reisst bloss eine gut bandagierte Wunde wieder auf. Und so wird, sobald die Fassung wiedergewonnen ist, halt weiterhin auf Spaziergängen im Bündner Idyll über die Probleme beim Urinieren geredet.

Der Zauberer am Berg

Es hat Szenen in «La giovinezza», die erinnern in ihrer unverblümten, unbarmherzigen Offenlegung der Unförmigkeiten des Alters an die filmischen Watschn eines Ulrich Seidl. Sie tun das obendrein mit einer Tableau-Inszenierung, der das streng Geometrische, das sauber Symmetrische lieb ist und in der die kurenden Alten wie verkaterte Soldaten durchs Spa defilieren. Und doch ist das alles ganz anders als beim österreichischen Naturalisten. Es ist zwar nicht ganz so surreal bildgewaltig wie das fellinieske Rom-Gemälde «La grande bellezza»; vielmehr wohnt der weit lebensweiseren, menschenfreundlicheren und entsprechend berührenden «Giovinezza» eine zum 5-Sterne-Setting passende Eleganz inne, die sich nur mehr dann und wann einen wohltemperierten Exzess erlaubt. Aber gleichwohl liegt dem magischen Realisten Sorrentino, diesem Liebhaber alles Schönen, nichts ferner, als das Leben in öde purer Form abzubilden. Dafür sitzt ihm auch zu sehr der Schalk im Nacken und liegt ihm allzu viel Spiellust im Blut. Wie Fellini eben, dessen «8½» auch hier nachhallt. Über die Schatzalp den Bezug zu Thomas Mann und dem «Zauberberg» herzustellen, drängt sich derweil ebenfalls noch auf – und muss trotzdem nicht unbedingt sein. Bei einem derart «filmischen» Film über ein Buch zu grübeln, scheint nämlich nachgerade eine Respektlosigkeit gegenüber dem Kino zu sein.