Verliebt in alle Ewigkeit

«Amélie»-Regisseur Jean-Pierre Jeunet hat sich erneut mit der fabelhaften Audrey Tautou zusammengetan und das Kriegsdrama «Un long dimanche de fiançailles» auf die Leinwand gezaubert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Wenn die Liebe auf der Leinwand allen stürmischen Widrigkeiten trotzt, jeglichen tosenden Unbill ignoriert und partout keine Grenzen kennen will, wird gerne der Rahmen des erträglichen Pathos, der rezeptpflichtigen Kitschdosis und der vertretbaren Gefühlsduselei gesprengt. Sitzt bei derlei kraftmeierischem Auf-die-Tränendrüse-Drücken ein plumper Polterer auf dem Regiestuhl, entsteht meist Unerquickliches – siehe «Pearl Harbor». Dirigiert jedoch ein versierter Kapellmeister eine solch zartschmelzende und donnerhallende Symphonie in Rosa und Schwarz, kann durchaus grosses Gefühlskino als Saldo der immensen Anstrengungen resultieren – siehe «Titanic». Dass der Franzose Jean-Pierre Jeunet nicht irgendein dahergelaufener Feld-Wald-und-Wiesen-Regisseur ist, dürfte nach dem Kritikererflog «Delicatessen» und spätestens seit dem Publikumshit «Le fabuleux destin d’Amélie Poulain» hinlänglich bekannt sein. Und so braucht man sich denn auch gar keine Sorgen zu machen, dass sein zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielender Schmachtfetzen «Un long dimanche de finançailles» in einem Meer aus Tränen untergehen könnte – umso weniger, als mit Schnuckel Audrey Tautou wieder jene Charismatikerin mit auf der Kommandobrücke steht, die noch das Herz des zynischsten Barbaren zum Schmelzen bringt.

Spur der Hoffnung

Nun ist aber Madame Tautou nicht nur dieses fabel- und elfenhafte Wesen mit Audrey-Hepburn-Gedenk-Rehaugen, sondern auch eine sehr wohl ernst zu nehmende Aktrice mit Gravitas und Grandezza. Dass dem unzweifelhaft so ist, stellt die 26-Jährige nun eindrücklich unter Beweis. Als bauernschlaues und unnachgiebiges bretonisches Landei mit Namen Mathilde ist sie in Jeunets neustem Husarenstück in vermeintlich aussichtsloser Mission unterwegs, zu der sie von ihrer zwar dem Tode geweihten, das Zeitliche aber noch nicht gesegnet habenden Hoffnungen getrieben wird – der Hoffnung, dass ihre grosse und einzige Liebe entgegen allen Indizien doch nicht im Krieg gefallen ist. Was Mathilde auf ihrem von allerlei absonderlichen Figuren gekreuztem Ermittlungsweg zu Tage fördert, ist wohl aufschlussreich und aufregend, doch letztlich nur wenig erfreulich und erbaulich: Anzeichen dafür, dass ihr Verlobter noch unter den Lebenden weilt, sind kaum auszumachen. Um wenigstens Seelenfrieden zu finden, fährt Mathilde aber mit ihren Recherchen fort und hält dabei ein zartes Fünkchen bangen Hoffens immerdar am Leben. Denn die wahre und bedingungslose Liebe kennt nun mal keine Grenzen – weder die des Mühsals noch die der Logik.

Grossspurig und grossartig

Wie Jeunet Mathildes Weg dokumentiert, erinnert in Form, Gestus und Taktik trotz aller thematischen und sonstigen Unterschiede schon stark an die Fabel der Amélie Poulain. «Un long dimanche de fiançailles» ist ebenso verspielt, verschmitzt, seine Figuren sind gleichermassen ins Comichafte übersteigert, überzeichnet, der Mut zum Kitsch, zur Opulenz wird wiederum mit überlebensgrossem Selbstvertrauen in jeder Szene ausgekostet, in jedem Millimeter Film ausgelebt. Mittels einer erneut das Künstliche wie das Kunstvolle lustvoll zelebrierenden Bildsprache und unter stetem, aber die Liebesgeschichte nie trivialisierendem Augenzwinkern zieht Jeunet jede sich in seiner Hand befindende Trumpfkarte, wendet jeden ihm bekannten Zaubertrick an, spielt jeden technisch machbaren Kunstgriff aus und lässt einen so die volle und bisweilen fast erdrückende Wucht seiner Brillanz (und seines kindlichen Gemüts) spüren. Seine von zahlreichen Ort- und Perspektivwechseln gekennzeichnete, zwischen furios inszeniertem Kriegstreiben und pittoreskem ländlichem Idyll pendelnde Bestseller-Adaption ist Tragikomödie, Kriegsdrama, Detektivgeschichte und Liebesmärchen, vereint spielerisch Witz, Action, Spannung und Romantik und bietet was fürs Herz, das Auge, den Kopf und die Nerven. Das alles ist grossspurig, grosskotzig, grossartig, das alles ist – kurzum – eben halt Jean-Pierre Jeunet. In welchen Rang sich dieser Märchenonkel inzwischen gefilmt hat, verdeutlicht die Tatsache, dass er für eine Nebenrolle in seinem neusten Geniestreich gar US-Superstar Jodie Foster gewinnen konnte. Denn die wiederholt wegen ihrer Frankophilie aktenkundig gewordene, fliessend und akzentfrei in der Gallier-Sprache parlierende zweifache Oscar-Preisträgerin ist ja nun wahrlich keine, die überall mitmacht, wo es eine Bratwurst umsonst gibt. Nein, dieser Monsieur Jeunet ist ein ganz Grosser seiner Gilde – und das wissen Jodie Foster und Audrey Tautou, das weiss das Publikum, und das weiss nicht zuletzt Jean-Pierre Jeunet selbst.