Leben lernen zwischen London und Paris

Der englische Starautor Nick Hornby hat ein Drehbuch geschrieben. Die Konsequenz daraus heisst «An Education» – und ist ein grossartiger Film.

 

von Sandro Danilo Spadini

Er liebt den Fussball, er liebt den Rock ‘n‘ Roll – und als wäre das nicht schon sympathisch genug, liebt er auch die Menschen. Nick Hornby, der Prototyp des Popliteraten, ist nicht nur der definitive Chronist des von manchem vielleicht als trivial taxierten Zeitgeists; er ist nicht zuletzt auch ein grosser Humanist. Und dass er jetzt sogar Drehbücher schreibt, ist ein wahrer Segen für das ohnehin schon von Hornby-Roman-Adaptionen bereicherte Kino. Der Oscar-nominierte Beleg dafür ist «An Education»: ein Film, der überraschend für Hornby nicht im Jetzt spielt, als universell-zeitlose Betrachtung des Lebens schlechthin aber auch für heute existenzielle Gültigkeit besitzt.

Kleinbürgerlich grau

Angesiedelt ist die «auf einer Erinnerung» der britischen Journalistin Lynn Barber basierende Geschichte in einem Londoner Vorort des Jahres 1961, und los geht es mit der von Hornby zu erwartenden Wortwitz-Jagd. Motivierte Teilnehmerin daran ist die 16-jährige Schülerin Jenny (Carey Mulligan): ein aufgewecktes Mädchen, das auf dem Sprung an die Universität von Oxford ist und bei französischen Chansons von einem glamourösen Leben in Paris träumt. In diesem Vorortslondon der beginnenden Sixties swingt nämlich noch gar nichts; das Grau von Jennys Schuluniform korrespondiert vielmehr mit der von Regisseurin Lone Scherfig («Italian for Beginners») fein beobachteten Umgebung. Aus dieser will Jenny also entfliehen, gerade auch vor dem unsagbar kleinbürgerlichen Vater (Alfred Molina), der es freilich nicht böse meint. Und prompt kommt da einer, der all das verheisst, wonach Jenny lechzt. David (Peter Sarsgaard) ist ein waschechter Bonvivant, ein Hallodri, ein Beatnik, einer auch, der dieser grauen Londoner Zeit voraus ist. Er wird Jenny in die grosse weite Welt der (kontinentalen) Kultur einführen, ihr mit der titelgebenden Ausbildung als Lebenslehrer dienen, gleichsam das Licht anknipsen – daran lässt auch Scherfigs überlegte Bildsprache keinen Zweifel. Was jedoch dieser erwachsene Mann mit einem 16-jährigen Mädchen will, bleibt derweil diffus, so viel Potenzial dieses Mädchen auch hat und so wenig naiv es für sein Alter sein mag. Er findet es jedenfalls «fantastisch», eine junge Person kennenzulernen, die so viel wissen und lernen wolle. Ein amouröses Interesse hat er dabei sicherlich auch. Und obwohl er es damit ernst zu meinen scheint, schleicht sich bald ein unguter Verdacht an. Jenny, die partout nicht bourgeois wie ihr Vater sein will, bleibt davon indes unbeirrt und stellt sich bezirzt und liebesblind eine andere Frage: Paris oder Oxford? Jazz oder Latein? Party oder Universität? «Wir werden sterben, sobald wir die Uni abgeschlossen haben. Es zählt, was wir vorher gemacht haben», sagt sie einmal zu ihrer Lehrerin (Olivia Williams). Und als eine werdende Frau der damaligen Zeit hat sie damit vielleicht sogar recht. Oder eben gerade nicht.

Eine Riesenentedeckung

Mit Jennys immer drängenderer Sinnfrage dringt auch der Film in stetig ernstere Gefilde vor. Und in diesen erweisen sich Hornby und Scherfig als nicht minder beschlagen als zuvor, wo vornehmlich noch drauflosgescherzt und abgeschwärmt wurde. So wird wie schon zwischen den Buchdeckeln auch hier evident, dass sich Hornby zusehends im Genre der Tragikomödie heimisch fühlt. Scherfig wiederum zaubert nicht nur eine dichte Atmosphäre und einige tolle Einzelaufnahmen auf die Leinwand; obendrein drückt die Dänin all die richtigen Knöpfe, und dies zur richtigen Zeit und im richtigen Rhythmus. Doch genug von Autor und Regisseurin. Dieser trotz Klischees nie schale Film übers Erwachsenwerden hat noch etwas anderes Gewichtiges zu bieten, namentlich eine spektakuläre schauspielerische Entdeckung. Carey Mulligan heisst diese, ist 24-jährig, wie Hornby für den Oscar nominiert, und ihre Performance ist in eine Reihe zu stellen mit jenen naturgewaltigen von Audrey Tautou in «Amélie», Ellen Page in «Juno» oder Sally Hawkins in «Happy-Go-Lucky». Letztere hat hier übrigens auch einen kurzen Auftritt und ist wie die fantastischen Alfred Molina und Rosamunde Pike Mitglied eines Ensembles, das nicht den geringsten Teil zum grandiosen Gelingen des neusten Nick-Hornby-Projekts beisteuert.