von Sandro Danilo Spadini
Es gab wohl nie einen Regisseur, der grösser und mächtiger war als Francis Ford Coppola Mitte der Siebziger nach dem zweiten «Godfather». Und es gab wohl nie einen Regisseur, der so tief gesunken
ist wie der Mann, der als Anführer der «New Hollywood»-Revoluzzer einst alle Fäden in der Hand hielt. Schon die Achtziger meinten es nicht mehr gut mit dem just zuvor durch das «Apocalypse
Now»-Monumentalchaos in höchste finanzielle Not geratenen Coppola. In den Neunzigern jedoch kam es für den längst auf die schiefe Kommerzbahn geratenen Filmkünstler dann gar so dick, dass er den
Regiestuhl zusammenklappte, um sich fürderhin fast exklusiv seinen lukrativen Weinbergen zu widmen. Die Grisham-Verfilmung «The Rainmaker» (1997), eine Fleissaufgabe, schien somit das Ende seiner
Wahnsinnskarriere zu markieren. Vor rund zwei Jahren meldete sich Coppola dann zurück, und die Cineasten-Gemeinde bebte vor Vorfreude auf das Liebesdrama «Youth Without Youth». Umso massloser
aber der Frust, als das Werk vorlag: Ein verkopft-abgehobenes Durcheinander war das, was ein von barer Selbstverwirklichung beseelter Coppola da nach einem Jahrzehnt Schaffenspause vorlegte. (Zur
Illustration: Es gab darin etwa Frauen mit Hakenkreuz-Strapshalter oder Passagen in Sanskrit ohne Untertitel.) Die leiser gewordene Hoffnung ruhte schliesslich auf Coppolas bald angekündigtem
nächstem Herzensprojekt – das nun in der Tat ein dezentes Jubelstürmchen auslöst. Auch nicht gerade das filmische Äquivalent von Strandlektüre, zeigt das schwarzweiss gedrehte Drama «Tetro» nämlich immerhin, wozu Coppola einst fähig
war.
Kein freudiges Wiedersehen
«Tetro» spielt in Buenos Aires und handelt vom Wiedersehen der ewig entfremdeten Brüder Bennie (Alden Ehrenreich) und Angie (Vincent Gallo). Der kammerspielhafte Auftakt erinnert an «A Streetcar
Named Desire»: Ein Bus bringt Bennie in den Stadtteil La Boca, wo Angie mit Gattin Miranda (Maribel Verdú) ein kompliziertes Dasein als unveröffentlichter Schriftsteller fristet. Wir sind in der
ehelichen Wohnung, die Stimmung ist gespannt. Bennie bibbert, Angie, der sich nunmehr Tetro nennt, ist offenkundig nicht so begeistert über die brüderliche Reunion. Nach zehn Filmminuten ist
praktisch noch nichts passiert, und geredet wurde auch nur wenig. Man merkt: Der 70-jährige Coppola, der auch Skript und Produktion verantwortet, geniesst seine selbst gewählte Befreiung vom
Erfolgsdruck und lässt sich hier nicht hetzen. Die Brüder plaudern schliesslich tags darauf, sogleich auch über den verachteten überlebensgrossen Vater (Klaus Maria Brandauer). Zwei ungleiche
Brüder sind sie. Hier der 18-jährige Bennie, der als Kellner auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet und ausschaut wie der junge Matt Damon (also eigentlich einfach wie Matt Damon); dort der doppelt
so alte Tetro, ein in Selbstmitleid zerfliessendes verkanntes Genie der ganz anstrengenden Sorte.
Eine gewisse Magie
Nach einer halben Stunde ist immer noch kaum etwas passiert, aber wenigstens waren die Jungs mittlerweile mal draussen und haben ziemlich viel geredet: über Kunst, über die Vergangenheit, über
den Vater, immer wieder den Vater. Das künstlerische Ringen, Scheitern, Gelingen und das Aufrollen der Familiengeschichte bilden denn auch den Kern des Films. Ersteres gibt ihm eine persönliche
Note, Letzteres steht in bester Coppola-Tradition – und beides reisst nicht immer von den Sitzen. Eine gewisse Magie erzeugen vielmehr das von farbigen Rückblenden kontrastierte Schwarzweiss, das
vereinnahmend zwischen Film-noir- und Nouvelle-Vague-Ästhetik pendelt, sowie die unzeitgemässe Erzählform. Es ist «Tetro» jederzeit anzumerken, dass Coppola hier völlige kreative Freiheit hatte.
Das hat zwar auch seine Schattenseiten, zeitigt diese (Narren-)
Freiheit doch einen bisweilen erneut überbordenden Intellektualismus und manch ungezügelten Manierismus. Aber am Ende der über zwei
Stunden Spielzeit, in denen dann doch noch ein bisschen was passiert ist, kündet «Tetro» gleichwohl von der Hoffnung, dass Francis Ford Coppola mindestens einen grossen Film noch in sich hat.