Ring frei für grosses Kino

Nach «Mystic River» hat Clint Eastwood mit dem von seiner grandiosen Hauptdarstellerin Hilary Swank getragenen Boxerdrama «Million Dollar Baby» erneut einen perfekten Film gedreht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Am 31. Mai wird Clint Eastwood 75 Jahre alt, und zumindest was seine Regie-Anstrengungen angeht, scheint es so, als ob der rüstige Haudegen erst jetzt so richtig warm wird. Gewiss: Auch in den 32 Jahren und 23 Filmen vor seinem letztjährigen Meisterwerk «Mystic River» hat Eastwood mitunter Ausserordentliches geleistet. Sogar den Oscar haben sie ihm dafür schon mal gegeben; 1992 war das, «Unforgiven» hiess der Film, ein Spätwestern, mit dem sein neuster grosser Wurf, das Boxerdrama «Million Dollar Baby», auf den zweiten Blick so einiges gemeinsam hat: Eastwood ist nicht nur als Regisseur, sondern auch als Hauptdarsteller für den Academy Award vorgeschlagen, sekundiert wird ihm erneut vom ebenfalls Oscar-nominierten Morgan Freeman, und beides sind verdammt gute Streifen. Wobei «Million Dollar Baby» – wie schon der im Zuge der leicht grotesken «Herr der Ringe»-Geschenkorgie im Vorjahr ungekrönt gebliebene Vorgänger «Mystic River» – noch einen Tick oder zwei besser ist, weil er ruhiger, gelassener, gescheiter, rührender, weil er formal noch ausgefeilter, noch ausgeklügelter, noch ausgewogener, weil er schlicht perfekt ist. Und weil er Hilary Swank hat.

Kein Märchenfilm

Die – aller Voraussicht nach – bald zweifache Oscar-Preisträgerin spielt die am Existenzminimum lebende Kellnerin Maggie, die mit Zähheit, Willenskraft, Hartnäckigkeit und immerzu freundlichem Lächeln ihre «White Trash»-Herkunft abzustreifen versucht und sich buchstäblich durchboxen will. Mit 32 Jahren ist Maggie eigentlich schon zu alt für eine Karriere in der gerne schmuddeligen Welt des gepflegten Faustkampfs, und von Trainer-Urgestein Frankie (Eastwood) hat sie auch keinen Support zu erwarten: «Ich trainiere keine Mädchen», lautet dessen unzweideutiges Credo. Dank Eddie (Freeman) jedoch, der guten Seele in Frankies Boxklub, schafft Maggie nicht nur sukzessive sportliche Fortschritte, sondern auch eine allmähliche Annährung an den nur scheinbar grantigen Coach. Und am Ende kommt es, wie es kommen muss und soll: Frank nimmt Maggie unter seine Fittiche, lässt sie hart und noch härter trainieren, zeigt ihr Tricks und Kniffe, führt sie alsdann von Sieg zu Sieg, zu wahren Triumphen und Machtdemonstrationen, zu Ruhm und Reichtum, zu Glück und Seelenheil und schliesslich zum Titelkampf – dem krönenden Abschluss einer Märchenkarriere und dem idealen Abschluss für einen Märchenfilm. Wäre dieser Titelfight für «Million Dollar Baby» die Schlussrunde, wäre dies allen personalen und dramaturgischen Stereotypen zum Trotz ein sehr guter, jederzeit unterhaltender, teils auch recht witziger und actionreicher Sportfilm, könnerhaft inszeniert, ebenso gespielt. Weil aber für «Million Dollar Baby» an diesem Punkt der Schlussgong noch nicht ertönt, ist dies eben ein perfektes und letztlich fast stereotypfreies Drama, immer noch unterhaltend, nun aber leiser und ernster, meisterhaft inszeniert, ebenso gespielt.

Dicht und traurig

Ideal, nachgerade logisch sind in «Million Dollar Baby» die beiden Hauptfiguren besetzt: Dass Swank einstecken und austeilen kann, hat sie bereits während der wenig rosigen Tage zu Beginn ihrer Karriere in «The Next Karate Kid» gezeigt, was für eine magistrale Mimin gerade auch in einer betont unfemininen Rolle sie sein kann, dann einige Jahre später in «Boys Don’t Cry». Und wer anders als Eastwood selbst könnte diesen Frankie besser spielen, diesen altmodischen Kerl von echtem Schrot und Korn, harte Schale, weicher Kern inklusive? Solche Typen hat er schon hundertfach verkörpert, denn ein Clint Eastwood wird halt nicht kraft seines darstellerischen Nuancenreichtums, sondern als Typ besetzt. Ob man ihn dafür zwingend für den Oscar nominieren musste, sei auch eingedenk der starken Konkurrenz in diesem Jahr freilich dahingestellt. Die ganz grosse Leistung wird in «Million Dollar Baby» – dem fraglos besten Boxerfilm seit Scorseses «Raging Bull» (1980) – denn auch nicht vom Schauspieler, sondern vom Regisseur Eastwood erbracht. Seinen optisch bestechenden, mit der gewohnt ruhigen Hand gedrehten, inhaltlich wie formal gleichsam fliessenden, ungemein atmosphärischen und dichten Film hat er zwar derart sparsam ausgeleuchtet, dass man glauben könnte, er hätte vergessen, die Stromrechnung zu bezahlen; düster ist er aber im Gegensatz zu «Mystic River» gleichwohl nicht, mindestens so tragisch zwar und noch trauriger, doch flackert stets und sogar noch am Ende, wenn der Film mit einem Bild für die Ewigkeit schliesst, ein winziges Fünkchen Hoffnung – so zart und verletzlich indes, dass man bisweilen unweigerlich den Atem anhalten muss.