Bluebird

 

Nichts, wirklich rein gar nichts deutet von aussen darauf hin, dass an diesem Ort am maximal glamourfreien Stadtrand von Nashville schon so manche Weltkarriere lanciert worden ist. Eingepfercht zwischen einem Coiffeurladen, einem Schmuckreparaturservice und einer chemischen Reinigung steht es seit 1982 stolz und stoisch da, das legendäre Bluebird Café. Und betritt man dieses Lokal mit seinen mickrigen 90 Sitzplätzen – wenn man es denn endlich einmal gefunden hat und nicht noch ein weiteres Mal an ihm vorbeigefahren ist –, so begrüsst einen erst einmal der rustikale Duft von Frittier-Öl, in dem über all die Jahre die Pommes und der Backfisch gebrutzelt haben, bevor sie vom phänomenal kompetenten Personal serviert worden sind. Der süsse Geruch mondänen Erfolgs ist das auch nicht gerade. Doch schliesslich, wenn man den unwirklich spärlichen Obolus entrichtet hat, wird der Blick bald einmal zu dieser Wand hinüberwandern mit all den unterschriebenen Schwarzweissfotografien, und da stutzt man dann und schluckt leer und reibt sich die Augen: Vince Gill sieht man da; Trisha Yearwood sieht man da; und, um des Country-Gottes willen, Townes Van Zandt sieht man da! Und ja: Die fünffache Grammy-Gewinnerin Faith Hill wurde hier im Bluebird als Background-Sängerin entdeckt. Garth Brooks gab daselbst eine erste Kostprobe seines Könnens, das ihn am Ende zum umsatzstärksten Solokünstler des 20. Jahrhunderts in den USA machen sollte. Und dann gab es da noch dieses 14-jährige Mädchen, das Mitte der Nullerjahre im Bluebird Café zu Nashville aufschlug und alle in ihren Bann zog; ein Mädchen namens Taylor Swift.

Fürwahr: Das Bluebird ist ein geradezu magischer und ein gleichsam kultisch verehrter Ort. Wenn das Ryman im Stadtzentrum von Nashville mit seiner Grand Ole Opry die Kathedrale der Country-Musik-Superstars ist, so ist das Bluebird die Kapelle der Songwriter-Community: ein unprätentiöser Schuppen für all jene, die die (Country-)Musik lieben und für sie leben. Dieser heute von der mehr stampfend als schleichend voranschreitenden Gentrifizierung Nashvilles bedrohten Kultstätte ein kleines und feines filmisches Denkmal zu errichten, ist also sicher nicht verkehrt. Peter Bogdanovich hat es ja bereits in den frühen Neunzigern als Setting für sein Musikerdrama «The Thing Called Love» mit River Phoenix und Sandra Bullock prominent in Szene gesetzt; und zu ordentlicher Berühmtheit bis über die Grenzen der USA hinaus hat es das Bluebird ab 2012 als einer der zentralen Schauplätze der TV-Serie «Nashville» gebracht – die entsprechenden Touristenströme haben das Café nicht nur an den Rand seiner Kapazitäten gebracht, sondern auch finanziell über Wasser gehalten. Der Filmemacher und Songwriter Brian A. Loschiavo gibt ihm in seiner Doku «Bluebird» nun freilich die Hauptrolle. Und von Jason Isbell über Kacey Musgrave bis Sam Hunt kommen sie alle, um dieser dezent versifften Startrampe für aufstrebende Künstler zu huldigen: nicht nur in Interviews und Rückblenden, sondern auch in einzigartigen und einmaligen Auftritten aus jüngerer Zeit. So singt Garth Brooks seinen ersten und schönsten Hit «The Dance» zusammen mit dessen Komponist Tony Arata; Taylor Swift verzaubert als Überraschungsgast mit einer herzerwärmenden Version von «Better Man»; und Don Schlitz performt mit anderen alten Songwriter-Haudegen im Viererkreis mitten im Lokal, in jener intimen Aufführungsform also, für die das Bluebird von Künstlern und Publikum gleichermassen am meisten geliebt wird. Für jeden Country-Fan sind diese Auftritte, von denen es weder physische noch digitale Tonaufnahmen gibt, natürlich ein Hochgenuss. Doch auch abseits all der Legenden bietet «Bluebird» manche Hörfreuden: wenn etwa die Stars aus «Nashville» um Charles Esten einen der prägnantesten Songs aus der Serie in einem nachgebauten Studio-Bluebird zum Besten geben oder sich unverschämt talentierte (Noch-)Namenlose bei der sonntagmorgendlichen Vorspielprobe oder der Open-Mic-Night für höhere Weihen empfehlen. Nur 82 Minuten dauert die Doku, aber nach all den von Herzen kommenden Klängen und ehrfürchtig salbungsvollen Worten hat man dann schon rausgespürt, was es mit diesem Bluebird auf sich hat.