von Sandro Danilo Spadini
Manche Geschichten sind einfach schon mindestens einmal zu oft erzählt worden. So etwa jene einer sterbenden älteren Person, die auf ihrem Totenbett einer geheimen vergangenen, ihrer einzig
grossen Liebe gedenkt. Eine solche aber wirklich schon mindestens einmal zu oft erzählte Geschichte hat vor bald zehn Jahren die US-Autorin Susan Minot im Roman «Evening» niedergeschrieben, den
sie nun mit Pulitzer-Preisträger Michael Cunningham («The Hours») für die Leinwand adaptiert und so dem ungarischen Regisseur Lajos Koltai unter Beteiligung eines weiblichen All-Star-Ensembles
zur inszenatorischen Bearbeitung serviert hat.
Falsch besetzt
Die hier so langsam wie theatralisch sterbende Person heisst Ann und wird glanzlos dargestellt von Vanessa Redgrave. In ihrer ungleich vitaleren und juvenileren Form erscheint uns diese Ann
derweil in Person der sich hauptsächlich aufs Lieblichsein beschränkenden Claire Danes, und damit haben wir bereits das erste Problem. Denn Danes hat rein gar nichts von Redgrave und wird nur
deshalb als das jüngere Ann-Modell erkannt, weil uns das Drehbuch sagt, dass wir dies tun sollen. Na gut, machen wir das halt, stutzen aber bald abermals und haben schon das nächste Problem: Anns
erwachsene Töchter, dargestellt von Natasha Richardson und Toni Collette, gehen nicht mal als Cousinen zweiten Grades durch und nerven obendrein mit belanglosem Palaver. Unsere schwindende
Hoffnung müssen wir deshalb doch wieder auf die ohnehin den Grossteil der Erzählung ausmachenden Rückblenden setzen. Und hier haben wir dann inmitten der sonnendurchfluteten und bisweilen
-überfluteten Bilder eines Hochzeitswochenendes auf einem mondänen Anwesen am Meer ein ganz grosses (Personal-)Problem. Diese Rückblenden handeln nämlich von drei Menschen, die allesamt in
denselben Mann (Patrick Wilson) verliebt sind: eben halt die junge, sorglose Ann, ihre beste Freundin Lila (Mamie Gummer) und sogar noch deren trunksüchtiger Bruder Buddy (Hugh Dancy). Man sollte
jetzt annehmen, dass dieser allseits angehimmelte Kerl aber so was von einem Traummann ist. Doch was wird uns da präsentiert? Ein uncharismatischer, stocksteifer und restlos humorloser Typ, der
nicht mal sonderlich sympathisch ist.
Steril statt warmherzig
Warum sollte also Ann, die ihn just getroffen hat, warum sollte also Lila, die gerade heiratet, und warum sollte also Buddy, der doch sowieso in Ann verliebt ist, warum um Himmels willen sollten
also alle drei diesem Harris genannten Ödmann verfallen sein? Weiss man nicht. Denn weil die Zeit knapp ist und anderweitig mit Nichtssagendem verjuxt werden will, überspringt die Regie etwa auch
das eigentliche Verlieben von Ann und Harris, das ja auch ein Verrat ist und wenn nicht Gewissensbisse, so doch immerhin Gewissensknabbern auslösen müsste. Doch derlei bleibt nun mal aus, weshalb
wir auch mit dieser Ann wiederum nicht so richtig warm werden können. Claire Danes dafür zu rügen, wäre indes verfehlt, lassen sie doch das mit erstaunlich durchschnittlichen Dialogen bestückte
Skript und die mit dessen narrativer Struktur nichts anzufangen wissende Regie im Regen stehen. Dass Regisseur Koltai bei seinem Hollywood-Debüt einer verhängnisvollen Schwäche fürs Pittoreske
und einem Faible für unaufhörlich schnurrende Schmalzstreicher erliegt und ihm darob der vermeintlich feinfühlige Film bisweilen in monumentalen Kitsch entgleitet, passt schliesslich grad auch
noch ins wohlfeile Postkartenbild. Insgesamt ist das alles einfach viel zu bemüht; die Emotionen sollen aus dem Publikum rausgepresst werden, die Tränendrüse wird barbarisch malträtiert, und das
Taschentuch flattert schon dienstfertig von der Leinwand. Man wird es freilich nicht brauchen. Denn trotz aller Gefühlsduselei wirkt «Evening» nicht warmherzig, sondern steril und wird in
der zweiten Stunde nur noch langfädiger und zähflüssiger. Immerhin darf am Ende mit dem Auftritt Meryl Streeps als gealterte Lila noch eine glaubwürdige Besetzung registriert werden: Mamie
Gummer, welche die 24-jährige Lila spielt, ist nämlich Streeps Tochter.