Eine leichtfüssig servierte cineastische Köstlichkeit

Adrienne Shellys bunt inszenierte und lakonisch erzählte Tragikomödie «Waitress» avancierte in den USA zum Überraschungshit und wird auch die Herzen des hiesigen Publikums erobern.

 

von Sandro Danilo Spadini

Spricht man von mehrheitsfähigen Filmen, impliziert dies in der Regel auf unterschwellig vorwurfsvolle Art Kompromissbereitschaft, Inkonsequenz oder gar Anbiederung. Man meint: Hier werden aus marktstrategischen Überlegungen Konzessionen auf Kosten der künstlerischen Integrität gemacht und letztlich ecken- und kantenlose Belanglosigkeiten zum hastigen und leicht verdaulichen Konsum aufgetischt. Von Zeit zu Zeit gibt es jedoch diese Filme, die man einfach mögen muss und die dann auch allerorten, auf Redaktionsstuben, in Kinosälen und auf Jurybänken, auch von allen gemocht werden. Typischerweise fallen solche Filme unter die Kategorie Tragikomödie, tendenziell mit einem leichten Übergewicht auf letzterem Element. Unabdingbare Komponenten dieser womöglich unter dem Begriff «Easy Watching» zu sammelnden Streifen: eine gesellschaftlich relevante Themen anschneidende Handlung, die mit einer gewissen Tiefe und zugleich grosser Leichtigkeit erzählt wird; ein allgegenwärtiger, leicht ins Skurrile schwappender Humor, der mehr zum Schmunzeln denn zum Losprusten provozieren möchte; und ein von schrägen Sympathieträgern bevölkertes Figurenensemble, denen kompetente Darsteller Gesicht, Herz und Seele geben. Im Vorjahr hiess dieser «Everybody’s Darling»-Film «Little Miss Sunshine», heuer heisst er «Waitress».

Kuchen als Kunstform

In «Waitress», inszeniert von der schauspielenden Independent-Regisseurin Adrienne Shelly, spielen wie in manchem in diesem Spätsommer noch folgenden Film (z.B. «Ratatouille» oder «No Reservation») kulinarische Köstlichkeiten eine grosse Rolle. Serviert werden diese von der titelgebenden Kellnerin Jenna (Keri Russell), die das Backen klassisch amerikanischer Kuchen zur Kunstform erhoben hat. Ohne je einen Kochkurs bei Jamie Oliver absolviert zu haben, fügt Jenna in ihren allseits hoch geschätzten Kreationen die unmöglichsten Zutaten zusammen. Bitteres und Süsses finden bei ihr – wie in einer guten Tragikomödie – zu einer harmonisch-homogenen Beziehung, bedingen und beflügeln einander gegenseitig. Das Ausdenken neuer Rezepte ist Jennas Ein und Alles – zumal sie ja sonst auch nicht gerade viel hat. Das Arbeiten in «Joe’s Diner», einem traditionellen Café irgendwo im Süden, wird zwar erheblich aufgewertet durch die Freundschaft mit ihren Kellnerinnenkolleginnen (Cheryl Hines und Regisseurin Shelly) und auch durch die gelegentlichen Schlagabtäusche mit dem hartschalig-weichkernigen Besitzer (Andy «Matlock» Griffith); doch daneben schaut es zappenduster aus. Insbesondere der latent psychopathische Gatte Earl (Jeremy Sisto aus «Six Feet Under») trägt zu ihrer konstanten Verstimmtheit bei. Als Jenna erfährt, dass sie schwanger ist, hält sich ihre Begeisterung denn auch in Grenzen. Earl zu verlassen, ist nun vorerst keine Option mehr. Eine Abtreibung kommt ebenso wenig infrage. In ihrem offenbar angeborenen Fatalismus startet sie stattdessen eine Affäre mit ihrem behandelnden und nicht minder verheirateten Arzt (Nathan Fillion). Und was danach kommt, kommt halt.

Tragischer Hintergrund

Erstaunlich und so liebenswert an «Waitress» ist, dass Shelly (auch Drehbuch) weder die Ehebruch-Thematik noch die feministisch angehauchten Einsprengsel zum Anlass nimmt, jemals ins Wertende oder Moralisierende oder Anklagende zu verfallen. Vielmehr wird ihr Film beherrscht von einem eher lakonischen, nicht gänzlich realitätsfernen Ton, der wunderbar mit dem Romantisch-Märchenhaften der Inszenierung und der charmanten Beschwingtheit der Erzählform kontrastiert (das Bittere und das Süsse eben). In Freude verbreitenden Farben und vor einer scheinbar aus der Zeit herausgelösten Kulisse schildert Shelly auf schlagfertig unverblümte Weise Jennas durchaus tragisches Schicksal und hofft dabei nicht vergebens auf die Sympathien des Publikums für ihre disfunktionalen Figuren. Mit Kitsch kokettierend, aber nie klebrig werdend, hat sie ein intelligentes Werk von lupenreiner Originalität geschaffen, das von ganzem Herzen kommt und selbiges wärmt, schmelzen oder gar brechen lässt. Ein Schatten fällt auf «Waitress» gleichwohl – ein sehr dunkler Schatten aus dem wirklichen Leben: Am 1. November 2006 wurde Regisseurin Adrienne Shelly erhängt in ihrem Apartment im New Yorker Greenwich Village aufgefunden, ermordet von einem 19-jährigen Bauarbeiter, mit dem sie in Streit über dessen lärmintensive Arbeit geraten war. Sie wurde 40 Jahre alt.