Subtile Spannung, behutsame Inszenierung

Mit seinem unkonventionellen Gruselthriller «The Sixth Sense» landete Jungregisseur M. Night Shyamalan einen Überraschungshit in den USA. Eine klaustrophobische Inszenierung sowie ein grossartig aufspielender 11-jähriger sind das Geheimnis des Erfolges.

 

von Sandro Danilo Spadini

Der Name Bruce Willis war bislang ein Prädikat für zumeist recht dumpfe Actionunterhaltung. Doch immer nur hemdsärmlige, schiesswütige Kerle zu spielen, ist mit der Zeit auch langweilig, und so schlägt der 44-Jährige mit «The Sixth Sense» neue Wege ein. Willis mimt den Kinderpsychologen Malcolm Crowe, der eines Nachts von einem ehemaligen, von ihm enttäuschten Patienten niedergeschossen wird. Vermag dieser feurige Auftakt das Blut von eingefleischten «Die Hard»-Fans womöglich noch in Wallung zu bringen, so wird der weitere Handlungsablauf sie zwangsläufig enttäuschen. Denn fortan verstummen die Waffen und effekthascherische Schockszenen sind auch keine zu finden in M. Night Shyamalans dritter Regiearbeit.

Von Ärzten und Patienten

Crowe übernimmt einige Monate nach dem Attentat den Fall des 8-jährigen Coles (Haley Joel Osment), welcher behauptet, Tote sehen zu können. Der noch immer recht angeschlagene Psychologe sieht in dem kleinen Jungen die Chance, sein früheres Fehlschlagen wiedergutzumachen. Crowe steigert sich bis zur Besessenheit in den Fall hinein, doch Cole öffnet sich ihm erst nach und nach. Gerade diese Phasen der Annäherung von Arzt und Patient sind sowohl sehr behutsam gespielt als auch in Szene gesetzt und gehören mit zu den stärksten Momenten des gesamten Films. Erst etwa nach halber Spieldauer werden die Ängste des 8-jährigen für den Zuschauer sichtbar gemacht und auch hier geht Shyamalan nicht nach der Holzhammer-Methode vor. Das Grauen wird sehr subtil erzeugt und ist weniger in den aus dem Nichts auftauchenden Gestalten zu erkennen, als vielmehr in den Augen des kleinen Coles. Shyamalan gelingt es, die Spannung bis ganz zum Schluss aufrechtzuerhalten – und wartet dann mit einem völlig verblüffenden Finale auf. In einer einzigen Einstellung und ohne grosse Worte löst er alles auf und lässt die gesamte Geschichte in einem gänzlich neuen Licht erscheinen. Gerade durch diese so grandiose wie simple Entschlüsselung hebt sich «The Sixth Sense» endgültig von der Masse ab.

Zwei grosse Entdeckungen

Filme um Übersinnliches scheinen ja wieder in Mode zu kommen, man denke da an Polanskis «Ninth Gate» oder auch an «The Astronaut’s Wife». Diese beiden Streifen haben zwar Johnny Depp als Star zu bieten, was ihnen allerdings abgeht, ist ein grandioser 11-jähriger namens Haley Joel Osment. Dieser ist neben Regisseur Shyamalan die grosse Entdeckung des Films und wird in Hollywood bereits für einen Oscar gehandelt. Sehr klug von den Machern war es indes, den Film nicht allzu sehr auf seinen prominenten Hauptdarsteller zu konzentrieren. Bruce Willis ist zwar redlich bemüht, doch verblasst sein Spiel im Schatten seines jungen Kollegen.