Verliebt, verraten und verloren im Bildersturm

Mit hohen Schauwerten und einem sich hervorragend ergänzenden Darstellerduo gelingt Regisseur Joe Wright eine beeindruckende Adaption von Ian McEwans Bestseller «Atonement».

 

von Sandro Danilo Spadini

Seine Kinokarriere hat zwar eben erst begonnen, doch bereits nach seinem Zweitling kann dem 35-jährigen englischen Regisseur Joe Wright eine erste Etikette umgehängt werden: namentlich die des Spezialisten für Literaturverfilmungen. So hat sich Wright zwei Jahre nach der allseits gelobten und mancherorts gefeierten Adaption von Jane Austens «Pride & Prejudice» nun erneut höchst fachmännisch eines Schatzes britischer Schreiberei angenommen und damit dafür gesorgt, dass sich sein Allerweltsname in das Cineasten-Gedächtnis einbrennen wird. Die Rede ist hier von der bald opulenten, bald dezenten Verfilmung von Ian McEwans 2001 erschienenen Bestseller «Atonement» (deutsch: «Abbitte»), der dem heute 59-Jährigen nochmals einen kräftigen Karriereschub verlieh. Es ist dies freilich nicht die erste Kinofassung eines Stoffes aus der Feder McEwans; unter anderen Paul Schrader 1990 mit «The Comfort of Strangers» und Roger Michell 2004 mit «Enduring Love» versuchten sich bereits in diesbezüglichen Adaptionen – notabene unter weit geringerem Gelingen als nun Wright.

Die eklatante Lüge

Ausgehend von einem ausgefuchsten Drehbuch Christopher Hamptons («The Quiet American»), vertraut der Jungregisseur wie ein Altmeister selbstbewusst der Kraft seines Mediums und verwandelt das geschriebene Wort in einen Bände sprechenden Bildersturm. Bis dieser und der Gefühlssturm der drei Protagonisten einsetzen können, gilt es für Wright und die Darsteller indes einiges an weniger spektakulärer Vorarbeit zu leisten. Wir schreiben oder McEwan und die Filmemacher schreiben vielmehr das Jahr 1935 und versetzen uns auf ein in sommerliche Leichtigkeit getauchtes Anwesen auf dem Lande in Sussex. Nebst einer Hand voll Nebenfiguren lernen wir kennen: Cecilia (Keira Knightley), die älteste Tochter des Hauses; Robbie (James McAvoy), den Sohn der Haushälterin; und Briony (Saoirse Ronan), die literarisch ambitionierte 13-jährige Schwester Cecilias. Letztere ist es, die mit einer einzigen, nur bedingt ihrer jugendlichen Unbedarftheit geschuldeten Fehleinschätzung, faktisch mit einer eklatanten Lüge das ganze Drama dieser Geschichte in Gang setzt. Dem feschen Robbie selbst in schwärmerischer Zuneigung ergeben, ertappt sie ebendiesem bei der sexuellen Ertüchtigung mit der von Keira Knightley mit der fast schon patentgeschützten Forschheit verkörperten Cecilia. Verstört und erbost nimmt Briony noch am selben Abend grausame Rache an den beiden, indem sie Robbie fälschlich der Vergewaltigung ihrer 15-jährigen Cousine bezichtigt und ihn so ins Gefängnis schickt.

Beeindruckender Kraftakt

Nachdem der Film einen Sprung um fünf Jahre gemacht hat, präsentiert sich uns ein gänzlich anderes Bild – was wörtlich zu nehmen ist. Die Gebrochenheit der drei Hauptfiguren spiegelt sich in der fulminant verstörenden Schilderung der Kriegszustände wider. Derweil Robbie im zusammenbrechenden Frankreich als Soldat dient und schliesslich in Dünkirchen verwundet der Evakuierung harrt, trotzen die beiden Schwestern – Cecilia vom Liebesverlust und die sich noch immer als Autorin betätigende Briony vom schlechten Gewissen zerfressen – zu Hause in London als Krankenschwestern den Wirren. Verdankte «Atonement» in der ersten Hälfte seine Höhepunkte noch vornehmlich dem ideal harmonischen Zusammenspiel von Knightley und dem derzeit omnipräsenten schottischen Shootingstar McAvoy, ist nach der räumlichen Trennung der beiden Liebenden nun Wright der Star des Films; ja einige Aufnahmen – etwa die lange Montage, die Robbies Ankunft am Strand in Dünkirchen zeigt – sind gar für die Ewigkeit gemacht. Und ganz zum Schluss ruft mit einem völlig aus dem Rahmen fallenden und dabei so überraschenden wie überzeugenden Kunstgriff nochmals Drehbuchautor Hampton sein Verdienst in den Fokus. Weil er und alle anderen wesentlichen Mitwirkenden hier einen intellektuellen und künstlerischen Kraftakt vollbracht haben, ist letztlich denn auch ein beeindruckendes Werk entstanden: ein Werk, das gleichzeitig der literarischen Vorlage und bei aller narrativen Vertracktheit auch cineastischen Ansprüchen gerecht zu werden vermag.