Wie ein Profikiller die Zeit totschlägt

In dem atmosphärischen Thriller «The American» ist George Clooney als Auftragsmörder im Stand-by-Modus auf Tauchstation in den Abruzzen – und hat Zeit genug, die Gegend zu erforschen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Bevor es richtig losgeht mit diesem italienischen Leckerbissen namens «The American», gibt es einen Gruss aus der Regieküche des Niederländers Anton Corbijn in Form eines Schwedenhappens: Ein graubärtiger und bewollmützter George Clooney steht im skandinavischen Schnee, eine Frau im Schlepptau. Ein Schuss fällt. Die Frau ist konsterniert, und umso konsterniert ist sie, als ihr Galan eine Waffe zückt, zum Angriff übergeht und den Schergen zur Strecke bringt. Doch keine Zeit für Erklärungen. George Clooney schickt die Frau weg. Die Frau dreht sich ab. George Clooney schiesst ihr in den Rücken. Die Frau ist tot. Zeit für Erklärungen? Zeit für den Vorspann, mit Musik von Herbert Grönemeyer. George Clooney im Auto, Auto im Tunnel. Ende des Vorspanns. George Clooney in Rom, Gespräch in einem Café. Ende des Gesprächs. George Clooney im Auto, Ankunft in den Abruzzen. Beginn des Hauptgangs. Und immer noch keine Zeit für Erklärungen.

Clooney am Basteln

Karg ist es, was der vormalige Musikvideo-Filmer Anton Corbijn in seinem zweiten Spielfilm serviert: spärliche Dialoge, kaum Musik, schleppendes Tempo, null Informationen – entgegen dem Hitchcock-Dogma hat das Publikum hier keinen Wissensvorsprung, sondern einen Wissensrückstand. Packend und von entrückter Schönheit ist dieser multikulturell fabrizierte Zeitlupen-Thriller gleichwohl. Denn trotz all der Auf- und Abblenden entwickelt er einen vereinnahmenden Fluss, und irgendwann dämmert es einem auch, dass es kaum von Belang ist, was George Clooney hier eigentlich macht. Von Belang ist einzig, wer George Clooney respektive der von ihm nunmehr bartlos und unbemützt verkörperte Auftragsmörder Jack ist, den sie hier wahlweise den Amerikaner oder wegen seines Schmetterlingstattoos Signor Farfalla nennen. Als Landschaftsfotograf gibt er sich aus, philosophiert bereits am Abend seiner Ankunft beim Cognac mit dem Dorfpfarrer (Paolo Bonacelli). Müde und melancholisch ist er, wohl am Ende seiner «Karriere», aber ständig auf der Hut. Irgendetwas ist nämlich schiefgelaufen oben in Schweden, und so sitzt er nun hier und wartet und richtet sich ein Leben ein. Es ist ja auch alles da, was es für ein Leben braucht: der Pfarrer für das seelische Wohl, der Dorfmarkt für das leibliche, die Prostituierte (Violante Placido) für das fleischliche. Richtig wohl scheint es Jack aber trotzdem nicht zu sein. Gelegentlich beratschlagt er sich telefonisch mit dem Kontaktmann in Rom – kein Wort zu viel auch hier. Dann schlägt eine geheimnisvolle Killerin (Thekla Reuten) im Abruzzendorf auf, für die er eine Waffe basteln soll. Fortan werkelt Jack vor sich hin, trifft sich abermals mit dem Pfarrer, stöbert auf dem Markt, verliebt sich in die Prostituierte – und bleibt bei alledem ein Mann ohne Eigenschaften, die über die üblichen Auftragsmörder-Attribute «wortkarg», «professionell», «pragmatisch» hinausgingen.

Hollywood trifft Europa

«The American» ist also mehr eine Charakterstudie denn ein Thriller. Wirklich neuartig wirkt das nie, und doch ist Corbijns Ansatz erfrischend. Geschuldet ist das nebst dem ungewohnten Schauplatz auch dem Kulturenclash zwischen Hollywood-Starkino in Person des sehr präsenten Protagonisten und dem europäischen Inszenierungsstil in Form von tempoentschärfter Narration und realistischem Look. Es sind denn auch keine Gemälde, die Corbijn auf die Leinwand bringt, sondern Kunstfotografien. Hat er sein vielerorts gefeiertes Debüt «Control» noch in Schwarzweiss gedreht, so legt er hier einen filigranen Umgang mit den (gedämpften) Farben an den herbstlichen Tag. Einzelne Aufnahmen möchte man sich einrahmen und an die Wand hängen, einzelne Sequenzen derweil, aus denen Corbijn eine ungeheure Menschlichkeit und Herzlichkeit herauskitzelt, einfangen und ins Poesiealbum einkleben. Absurd ist «The American» bisweilen auch, erotisch sehr oft, und der künstlerische Anspruch ist stets da, wenn auch nicht penetrant im Vordergrund. Ein kühler Film ist das, langsam und seltsam – und ein seltsam vereinnahmender.