Bürgerliche Begierden und Betrügereien

Mit bissigem Humor und scharfem Blick für die Moral der Nachkriegsjahre aufwartend, weiss die edel besetzte Kriminalsatire «Married Life» als lässige Hitchcock-Hommage zu gefallen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es war bis anhin noch jedes Mal ausgesprochen hübsch anzuschauen und jeweils weit mehr als eine unverbindliche Stilübung, wenn sich zeitgenössische Regisseure nicht nur inhaltlich, sondern in konsequenter Weise auch formal den grossen Meistern der Nachkriegsjahre angenähert haben. Als herausragendste Zeugnisse dieses Mini-Trends seien Todd Haynes’ Douglas-Sirk-Hommage «Far From Heaven» und Steven Soderberghs Film-noir-Huldigung «The Good German» genannt, welche sich dermassen detailversessen jedwedes Verfahren ihrer jeweiligen Vorbilder zu eigen machten, dass sie am Ende zeitlich kaum mehr zu verorten waren. Im Ganzen eher müssig, wenn auch als Experiment in gewissem Masse existenzberechtigt war demgegenüber Gus Van Sants sklavisch originalgetreues «Psycho»-Remake. Erwähnt sei jenes hier denn auch einzig deshalb, weil ihm im Verbund mit den beiden vorgenannten Werken gleichsam die Patenschaft für den nun vom jungen US-Regisseur Ira Sachs vorgelegten Retro-Streifen «Married Life» angedichtet werden könnte: In dieser lässig kultiviert dargebotenen, im Jahre 1949 spielenden Kriminalsatire ist nebst einem (reduzierten) moralisch-melodramatischen Gestus sirkscher Prägung und einer (gefärbten) Prise Noir nämlich auch ganz viel Hitchcock drin.

Eine menschliche Lösung

Die Eröffnungsszene etwa ist pures «Vertigo». Zwei Männer, die Freunde Harry (Chris Cooper) und Richard (Pierce Brosnan), treffen sich in einem vom Set-Design bewundernswert hingezauberten Lokal zu Drinks und Imbiss. Dem eigentlich harmlosen Plausch haftet von Anfang an etwas Konspiratives an. Das Gespräch – bald Beichte, bald Beratschlagung – dreht sich um Frauen, zunächst um Harrys Gattin Pat (Patricia Clarkson), alsdann um dessen bislang selbst vor Richard geheim gehaltene Geliebte Kay (Rachel McAdams). Harry, ein kerzengerader Jedermann, ist zerrissen, Richard, ein windschiefer Lebemann, ist fasziniert – dies erst recht, als die wasserstoffblonde Kay als lupenreines Kim-Novak-Double endlich ihre Aufwartung macht. Im Nu ist es um ihn geschehen, so wie es damals um Jimmy Stewarts Scottie Ferguson in «Vertigo» geschehen war. Bloss ist Richard, der auch als jovialer Erzähler fungiert, kein Scottie, also kein lädierter Grübler; ihm gibt es im Gegenteil null zu denken, fürderhin alles daran zu setzen, seinem besten Freund die neue Schöne abspenstig zu machen. Ganz anders Harry, der nunmehr immer wieder nur Ärger hat. Er denkt zu viel, ist zu gutmütig – und kommt, dergestalt denkend und guten Mutes, fatalistisch zu einem seiner Einschätzung nach für alle akzeptablen Ausweg aus dem Dilemma: Anstatt seine Frau unmenschlicherweise einfach zu verlassen, möchte er sie ganz schmerzlos vergiften. Weil Regisseur Sachs dem Publikum getreu dem Hitchcock-Dogma aber immer einen Wissensvorsprung gönnt, schwingt die Empörung über Harrys törichten Plan rasch in eine Art Mitleid für den Liebesirren um. Denn wüsste Harry, was wir wissen, wüsste er namentlich, was die anderen drei (nur vermeintlich prototypischen) Protagonisten denken und Unstatthaftes im Schilde führen, so würde er schockiert und erleichtert zugleich erwachen und zur Vernunft zurückfinden.

Ernsthaft humorvoll

Das Nichtwissen darum, wie es im anderen, just auch im Nächsten, aussieht, erhebt «Married Life» letztlich zur Moral der Geschicht. Eine moralische Instanz jedoch ist Gott sei Dank gleichwohl absent, zumal diese Rolle ja bloss dem unsteten Richard als Erzähler zufallen könnte – einem denkbar ungeeigneten Kandidaten für eine derartige Funktion also. Stattdessen erlaubt sich Sachs, von seinem Regiethron aus manche Prise sarkastisch schwarzen Hitchcock-Humors über die optisch stil- und im Ton zeitgeistgerechte Szenerie und deren durchweg vollauf famos verkörperte Figuren auszuschütten. Dass er dabei indes nicht bequem unbeteiligt bleibt und vielmehr sowohl mit dem gerade nötigen Ernst hinter die Fassaden des nachkriegszeitlichen Bürgertums als auch wachen Auges auf den Krimiplot blickt, kommt seinem hintersinnig dialogintensiven Film sehr zugute. Denn so ist das Vergnügen endgültig ein mannigfaches und paritätisch auf Augen, Nerven, Lachmuskeln und Hirnzellen verteiltes.