Teuflischer Gott in höllischem Himmel

In «Diego Maradona» seziert Star-Dokfilmer Asif Kapadia die Karriere des legendärsten Fussballers aller Zeiten – und analysiert, was solch ein Wahnsinn mit einem Menschen wie Diego Maradona macht.

DCM Film Distribution

von Sandro Danilo Spadini

«Ich möchte einfach Maradona sein»: Was der noch blutjunge Diego hier zum Anpfiff sagt, klingt ja simpel genug. Wie sich weisen wird, ist das aber eine härtere Knacknuss gar als die ganzen Horden von Wadenbeissern, die dereinst versuchen werden, diesen neugeborenen Star zur Strecke zu bringen. Denn wer Diego Maradona ist – an dieser Frage wird sich Asif Kapadia die nächsten 130 Minuten akribisch abarbeiten. Die sachdienlichsten Hinweise liefert dem Star-Dokufilmer («Senna», «Amy») dabei schnell einmal Francesco Signorini, der Personal Trainer von «El Pibe de Oro», der meint: Es schlummerten da zwei Gesellen in diesem wahnsinnigen Genie. Die Person Diego: ein scheuer Junge. Und die Persona Maradona: eine Figur, dank der dieser die Fährnisse des Fussballbusiness meistere. Das mag Küchenpsychologie sein. Ist aber sicher heller als das, was der von Maradona zum Zweitgrössten aller Zeiten verzwergte ewige Stänkerer Pelé verzapft: Dass Diego psychisch nicht imstande sei, Verantwortung zu übernehmen, wird noch in der Titelsequenz widerlegt.

Rächer und Rebell

Die ersten Erfolge bei den Boca Juniors, das Debüt im Nationaltrikot der «Albiceleste», der Wechsel zu Barcelona, Goikoetxeas Horrorfoul: All das hakt Kapadia auch noch im Vorspann ab. Was ihn kümmert, ist, was ab dem 5. Juli 1984 passiert: Es ist der Tag, an dem der weltbeste Fussballer in Napoli aufschlägt und bei einem meistertitellosen Mittelffeldklub vorgestellt wird. Es ist der Tag, an dem die Gottwerdung des Diego Maradona beginnt. Die erste Frage, die ihm gestellt wird: ob er wisse, dass hier die Camorra regiere. Und auch wenn SSC-Präsident Corrado Ferlaino jetzt ausrastet: Darüber wird noch zu sprechen sein in dieser hypnotischen Doku, in der Kapadia ähnlich wie im Wunderwerk über Ayrton Senna exklusiv auf existierendes Archivmaterial und Amateuraufnahmen zurückgreift und die Kommentierenden konsequent im Off bleiben. Einstweilen aber geht es rein ins Stadion und rauf auf den Rasen: Wir sehen Diego an Briegels Verona und Platinis Juve scheitern, hören die rassistischen Tiraden der Tifosi aus dem verfluchten Norden. Doch Maradona, der Rebell aus den Slums, der Rächer der Entrechteten, der teuerste Fussballer der Welt in der ärmsten Stadt Europas, wird sich darüber hinwegkämpfen, alles abschütteln, alle umkurven, über sich hinauswachsen und seinen Platz neben Jesus erobern in den neapolitanischen Herzen. 1987 holt er den Scudetto mit der SSC, und nun ists vollbracht: Diego Maradona ist Gott. Ja, Gott, immer wieder Gott. Es ist das einzige Wort, das den Leuten einfällt, um diesen glücktrunkenen Wahnsinn zu fassen. All dieser Wahnsinn. Gott, all dieser Wahnsinn. Eine verleugnete Vaterschaft ist dabei. Wilde Partys. Das Kokain schon. Und dann diese Nähe zum Giuliano-Clan. Es ist dies auch der Titelgewinn, der alles ändert. Sowieso Diego. Nun erhält Maradona endgültig die Oberhand. Dass er ein Jahr zuvor Argentinien zum WM-Titel geführt hat, ist da natürlich auch schon gezeigt worden. Beim Viertelfinal gegen England – die Hand Gottes! das Jahrhunderttor! – verweilt Kapadia extra lange. Es sei dies drum das quintessenzielle Spiel Maradonas, das ihn als das zeige, was er war: Künstler und Trickser.

Zu viel, zu gross

Diese Dualität ist das grosse Thema des Films, der nicht ohne Grund weder «Diego» noch «Maradona», sondern «Diego Maradona» heisst. Anders als die ebenso viel sagend betitelte Doku «Maradona by Kusturica» ist das nicht der Ort für das Skurrile: die Iglesia Maradoniana oder die Fidel-Verehrung und das Che-Tattoo. Und anders als der verspielte Emir Kusturica nimmt sich Kapadia maximal zurück. Worum es ihm bei seinem sehr seriösen Sezieren von Maradonas Karriere geht, ist wie in seinem Amy-Winehouse-Porträt der Ruhm und was der mit einem Menschen macht. Der Wahnsinn. Der Wahnsinn wieder. Wenn es zu viel wird. Wenn nach der «sozialen Befreiung Napolis», wie es Mitspieler Ciro Ferrara nennt, alles zu gross wird. Und dann dieser gespenstische Moment, als Maradona in seinem Napoli bei Italia 90 im Elfmeterschiessen gegen den WM-Gastgeber trifft. Es ist der Bruch. Jetzt kracht alles zusammen. Aus Gott wird der Teufel. Der meistgehasste Mann Italiens. Zum Abschuss freigegeben. Aus dem Wahnsinn wird ein Elend. Die Mafia. Das Koks. Die Sperre. Nach Diego ist nun auch Maradona am Ende. Mit der Zeit in Sevilla hält sich der Film jetzt nicht mehr auf, das Intermezzo als Nationaltrainer interessiert ihn nicht. Nach Napoli ist alles vorbei. Was bleibt, ist der Mythos. Unsterblich. Unvergleichlich. Göttlich trotz allem. Aber der allerletzte Moment hier, der gehört dem Menschen, der gehört: Diego Armando Maradona.