Mit Pauken und Trompeten

Mit der romantischen Tragikomödie «Life Is a Miracle» fügt der bosnische Starregisseur Emir Kusturica seinem Œuvre kaum nennenswert Neues hinzu, schafft aber erneut magisches Kino mit viel Herz.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es wird wieder gefeiert, gelitten, gestritten, gelacht, geliebt, getötet. Singen, Tanzen, Saufen, Rauchen, Raufen stehen auf dem Programm. Ein burleskes und groteskes Schauspiel voller Absurditäten und Obszönitäten, voller Liebe und Hiebe, voller Herz und Schmerz. Ein Haufen Wahnsinniger findet sich ein zu einem magischen und tragischen Theater. Mächtig, prächtig und grobschlächtig, ekstatisch, explosiv und exzentrisch, liebevoll, humorvoll und temperamentvoll. Und alles im Takt der Musik. Und alles am Rande des Wahnsinns, des Herzinfarkts, des Nervenzusammenbruchs. Kurzum: Der neue Kusturica-Film ist da.

Liebe ohne Grenzen

Nein, neu erfunden hat sich der bosnische Starregisseur Emir Kusturica mit seinem neuen Werk nicht. Und ja, Kusturica zählt immer noch zu den ganz Grossen seiner Gilde. In «Life Is a Miracle» erzählt er die Geschichte des nach Bosnien ausgewanderten serbischen Eisenbahn-Ingenieurs Luka. Man schreibt das Jahr 1992, und Lukas Gedanken kreisen mehr um die Eisenbahn, seine verrückte Gattin und seinen fussballerisch begabten Filius als um den bevorstehenden Krieg. Als dieser sein Dorf schliesslich erreicht, ist die Frau mit einem Musiker durchgebrannt, der Sohn in Kriegsgefangenschaft geraten und Luka frisch verliebt. Dass die Dame seines Herzens Muslimin ist, belastet Luka kein bisschen, dass er sich diese eigentlich als Geisel hatte halten wollen, um sie gegen seinen Sohn auszutauschen, schon etwas mehr. Die leicht odysseische Züge tragende Flucht aus dem heimatlichen Dorf, die unter dem Titel «Romeo und Julia auf dem Lande» stehen könnte, ist folglich nicht nur von erotisch-romantischen Glücksmomenten geprägt, sondern auch von Spannungen. Hier nun ist auch der Film an einem Wendepunkt angekommen. Von einem eigentlichen Bruch zu sprechen, wäre wohl übertrieben, zumal Kusturica den Richtungswechsel der Geschichte hin zu dem mehr und mehr präsenteren, letztlich aber bloss den Rahmen für die Liebesgeschichte abgebenden Kriegsgeschehen fliessend gestaltet. Gleichwohl ist in der zweiten Hälfte ein anderer, ungeachtet aller Feuer und Bomben ruhigerer Grundton auszumachen. Noch ein wenig mehr in den Vordergrund rücken in imposanten Aussenaufnahmen die das kriegerische Geschehen kontrastierende Schönheit der Natur und die der Geschichte allem historischen Wissen um die unvorstellbar sinnlosen Gräuel zum Trotz innewohnende Schönheit. Eher in den Hintergrund gestellt werden demgegenüber der gewiss auch vor Schenkelklopfern und Derbheiten nicht Halt machende, mehrheitlich aber ausgesprochen gewinnende Witz und der für Kusturica charakteristische Slapstick. Platz machen müssen sie für die Liebe, die so mächtige Liebe, die sich hier weder um religiöse, ethnische oder sonstige Grenzen einen Dreck schert. Und für die Hoffnung, die immer zuletzt sterbende Hoffnung, die auch die zweieinhalb Stunden dieses perfekt organisierten, minutiös choreografierten Chaos überlebt.

Meisterhafter Kraftakt

So weit, so bekannt. Was aber bietet «Life Is a Miracle» an Neuem? Nun ja, da wären die aus Kroatien geflüchteten Bären, die zusammen mit einem störrischen Esel sowie Hund und Katz für eine überaus prominente Vertretung der Tierwelt sorgen. Da wäre zum anderen eine dynamisch inszenierte Fussballszene, die an das Skandalspiel zwischen Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb aus dem Jahre 1990 gemahnt. Und da wäre auch die Musik, die dieses Mal vom Meister selbst stammt. Zur Enttäuschung einiger eingefleischter Kusturica-Fans sucht man wie schon in «Chat noir, chat blanc» den Namen Goran Bregovic bei den Soundtrack-Credits also vergeblich, haben sich doch die einstigen kongenialen Partner inzwischen heillos verkracht. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht: Denn die von Kusturica komponierte Musik geht ebenso schnell ins Ohr und weist ähnliches Suchtpotenzial auf wie Bregovics Klänge. Das wärs dann aber auch schon mit nennenswerten Neuerungen, weshalb mit Fug und Recht konstatiert werden darf, dass Kusturica sich im Prinzip einfach wiederholt. Dies indes geschieht freilich auf einem derart hohen Niveau, dass jeglicher Ansatz von Kritik im Keime ersticken muss. Die Klasse von Kusturicas Jahrhundermeisterwerk «Underground» erreicht «Life Is a Miracle» wohl nicht, doch gehört dieser zwischen Witz und Irrwitz, Tragik und Komik, Genie und Wahnsinn sich bewegende Kraftakt dennoch zweifelsohne zu den Höhepunkten des Kinojahrs 2004.