Umzingelt von Staatsfeinden und privaten Dämonen

Clint Eastwoods Biografie des langjährigen FBI-Direktors J. Edgar Hoover kämpft mit einem unfokussierten Drehbuch. Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio ist in der Titelrolle indes umwerfend.

 

von Sandro Danilo Spadini

Häufen sich die Filmbiografien, dann ist Award-Saison. Denn die Jurys schätzen nun mal das Imitieren oder Interpretieren realer Personen. Bei den Oscars etwa wurde dies in den letzten sieben Jahren fünf Hauptdarstellern und vier Hauptdarstellerinnen höchstmöglich angerechnet. Und bei den Golden Globes kamen soeben Meryl Streep alias Margret Thatcher und Michelle Williams alias Marilyn Monroe zu Potte. Ebenfalls nominiert war am Sonntag Leonardo DiCaprio. Nachdem er 2005 für seine Howard-Hughes-Verkörperung noch gesiegt hatte, blieb seine Rolle als J. Edgar Hoover indes unprämiert. Schade eigentlich, spielt DiCaprio den langjährigen FBI-Direktor doch auf den Punkt genau: verbissen und verbittert, sich klar und maschinengewehrschnell artikulierend, blitzgescheit und mit ideologischem Donnergrollen. Und als einen, der von der Macht korrumpiert wurde, der aber mit jeder Faser seines Herzens davon überzeugt ist, das Richtige zu tun.

Information ist Macht

Nicht einmal die Ehre einer Nominierung wurde Clint Eastwood als Regisseur und Produzent von «J. Edgar» zuteil. Und auch das passt in den Trend: Öfters nämlich ist die Filmbiografie weit weniger verdienstvoll als ihr Schauspiel. Für heuer scheint das besonders gültig: Weder «The Iron Lady» noch «J. Edgar» vermochten bei der US-Kritik zu reüssieren. Sind beim Thatcher-Biopic die Problemzonen beim historisch und politisch offenbar unkorrekten Inhalt zu orten, sind Eastwoods Versäumnisse freilich rein filmischer Natur; dem Bundespolizei-Chef Hoover und seinem Einfluss auf die US-Geschichte wird er hingegen auch ohne klaren Positionsbezug gerecht. So zeigt er den Mann, der 48 Jahre lang das FBI leitete und unter acht Präsidenten diente, als einen üblen Rassisten, einen eitlen Narzissten, einen frömmelnden Asketen. Er zeigt ihn indes auch als jenen Visionär, der die Polizeiarbeit professionalisierte, akademisierte, revolutionierte. Vor allem aber zeigt er ihn als glühenden Patrioten und grandiosen Paranoiker, dessen Passion es ist, Staatsfeinde zu jagen – echte wie imaginäre. Und der zur Durchsetzung seiner oft demokratiefeindlichen Kampfmassnahmen gerne auf sein legendäres vertrauliches Archiv zurückgreift, wo sich Schmutzwäsche noch eines jeden Players im US-Machtspiel findet: von JFKs ausserehelichen Aktivitäten über Eleanor Roosevelts sexuelle Präferenzen bis zu Nixons unlauteren Methoden. Neben dem Mischler auch den Menschen Hoover zu zeigen, fällt Eastwood derweil schwerer – wiewohl es bei ihm doch wie bei so vielen, die mit öffentlichen Feinden ringen, gerade die persönlichen Dämonen waren, die ihn trieben. Wenig ergiebig sind etwa die Rückblenden in die Kindheit mit der strenggläubigen Mama (Judi Dench); nur von komischem Wert ist das erfolglose Werben um seine Sekretärin (Naomi Watts); und erst spät thematisiert werden Hoovers Homosexualität und die Beziehung zu seinem Assistenten (Armie Hammer).

Viel zu kompliziert

Für das Porträtieren dieser Jahrhundertpersönlichkeit wählt Harvey-Milk-Filmbiograf Dustin Lance Black aber auch eine denkbar ungeeignete duale Strategie. So gibt er beim zwangsläufigen Streifzug durch die US-Geschichte Hoover das Kommando: indem er ihn in den 60ern seinen FBI-Werdegang in die Blöcke von Justizjünglingen diktieren lässt mit der Order, «die Grenzen zwischen Gut und Böse klar zu ziehen». Abgehandelt werden so der «Krieg gegen die Bolschewiken» in den 20ern, der Kampf gegen das organisierte Verbrechen in den 30ern und die Entführung des Lindbergh-Babys. Einen «objektiven» Standpunkt nimmt das so unfokussierte und zwei Jahrzehnte auslassende Skript hingegen ein, wenn es den letztlich zu flüchtigen Blick in die persönlichen Abgründe und Absonderlichkeiten wagt. Das ist einfach zu kompliziert und torpediert diesen episch und empathisch angelegten Film, der zwar nicht so flüssig fliesst wie andere Eastwood-Werke, der mit seinen gedeckten, entsättigten Farben aber trotzdem atmosphärisch ist. Immerhin gibts am Ende eine hübsche Drehbuch-Volte, wenn der verletzlich gewordene Machtmensch Hoover dann doch noch ins Zweifeln gerät – und Leonardo DiCaprio nochmals gross aufspielen darf.