Die fabelhafte Welt des Guillermo del Toro

Oscar-verdächtig: Kritikerdarling Guillermo del Toro umgarnt in seinem facettenreichen Filmmärchen «The Shape of Water» den Goldmann etwas gar aufdringlich. Erobern wird er ihn aber wohl trotzdem.


von Sandro Danilo Spadini


EJetzt hatten die politisch korrekten Dauerempörten ein Problem: Es hatte die Acadamy doch tatsächlich in der sonst von weissen Männern dominierten Regiekategorie nebst einer Frau auch einen Schwarzen nominiert. Das ging ja nun gar nicht, denn: #OscarSoWhite! Es musste also ein neuer Affront her, und aha: Bei den Schauspieler*innen fehlen die Hispanics! Wären die nun von Neuem in Grossbuchstaben Zeternden freilich noch etwas bei der Regiesparte verweilt, sie hätten Grandioses entdeckt: Passiert am 4. März im Dolby Theatre nämlich das zu Erwartende, dann haben hier in den letzten fünf Jahren vier Mexikaner gewonnen. Und womöglich schafft Favorit Guillermo del Toro («Pan's Labyrinth») anders als Kollege Alfonso Cuarón («Gravity») gar das, was Doppelsieger Alejandro Gonzáles Iñárritu («The Revenant», «Birdman») immerhin einmal gelungen ist: dass man seinem Film auch den Hauptpreis gibt.

Die Unvollständige und das Biest

Del Toros Film, das ist die thrillerhafte Fantasyromanze «The Shape of Water», und nominiert ist er gleich 13 Mal. Sollte er – trotz reichlich abstruser und obendrein ziemlich dürrer Handlung – am Ende obsiegen, wäre das der Erfolg eines geradezu zudringlichen Werbens. Selten jedenfalls hat jemand augenfälliger den Goldmann umgarnt, als dies der Kritikerliebling aus Guadalajara tut. Er erzählt da von einer Prinzessin ohne Stimme, von Liebe und Verlust und einem Monster, das dies alles zerstören wollte. So wird es uns vom Werbemaler Giles (Richard Jenkins) im Off vorfabuliert. Und abgespielt habe sich das alles zum Ende der Herrschaft eines noblen Prinzen in einer kleinen Stadt nahe der Küste, was in Prosa übersetzt heisst: während Kennedys Kuba-Krise in Baltimore. Die stumme Putzfrau Elisa (Sally Hawkins) gerät da nicht nur in Gefühlswallungen, sondern auch in den Strudel einer militärischen Geheimoperation an ihrem Arbeitsort, dem Luft- und Raumfahrtzentrum. Beides hat zu tun mit einem amphibischen Monster oder einer «Kreatur» oder einem «Exemplar», wie es Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon) nennt, der hier das wahre und von Giles gemeinte Monster ist. Mit dem Forscher Hoffstetler (Michael Stuhlbarg) soll er dieses «potthässliche» Ding, das sie aus dem Amazonas gefischt haben und das dort als Gott verehrt wird, für das Wettrennen gegen die Sowjets nutzbar machen. Elisa fühlt sich derweil zum Amphibienmann hingezogen, füttert ihn mit Eiern und führt ihm auch mal ein Tänzchen auf: weil er nicht sehe, dass sie «unvollständig» sei. Als sie hört, dass Strickland ihn töten soll, fasst sie den Plan zu seiner Befreiung. Helfen sollen ihr dabei ihre Kollegin Zelda (Octavia Spencer), die Elisas Stummheit mit gewaltigen Redeschwallen aufzuwiegen pflegt, und ihr gleichfalls recht gesprächiger Nachbar Giles, nochmals so ein Unvollständiger, dem Arbeit, Haare und ein Partner fehlen, was er mit einem Toupet, einer Horde Katzen, dem Faible für den Kuchenverkäufer vis-à-vis und einem Flair für alte Musicalfilme zu kompensieren sucht.

Prächtige Herz- und Lieblichkeit

Es dauert hier keine zwei Szenen, bis man merkt: Da ist ein Kinomagier am Werk, und er hat auch diesmal seinen Zauberstab dabei. Was man ebenfalls schnell einmal merkt: Auch Señor del Toro war einst in Amélie Poulain vernarrt. Zur fast penetrant putzigen Franzosenmusik von Alexander Desplat schwoft da die fabelhafte Kamera durch die goldbraun angemalten Puppenhauszimmer von Elisa und Giles, schweift einen Stock runter ins welke Kino, raus in die Nacht und rein ins Labor und das Blaugrün des Amphibienmann-Wassertanks, von Elisas Uniform und Stricklands Cadillac. Dieses Farbenspiel im weichen Licht schmeichelt natürlich dem Auge, Elisas Dahinschmelzen wärmt die Seele, und Jenkins' und Spencers Spässe kitzeln die Lachmuskeln. Doch es bleibt nicht bei prächtiger Herz- und Lieblichkeit à la Amélie; auch den Geist stimuliert del Toro mit dem Sinnieren über Sein, Zeit und Schönheit, derweil Blutexzesse und Sexszenen für Schaudern sorgen. Klar, so viele Facetten und ein solches visuelles Furioso bringen den Goldmann für gewöhnlich schon mal gehörig zum Schmachten. Doch die Academy mag es eben am allermeisten, wenn ihresgleichen sich selbst und ihr Metier inszeniert (Witz des Tages: Ein auf die Oscar-Bühne gekarrter Riesenspiegel erntet mehrminütige Standing Ovation). Um ganz sicherzugehen, verwebt del Toro das Ganze mithin noch zur Hommage ans Kino. Und am Schluss gibts auch noch eine Musicaleinlage – das sollte dann den Deckel draufmachen. Schönen Glückwunsch zum Oscar also schon mal!