Eine intensive Erfahrung? Geht so...

Der Horrorfilm «No Escape» ist von der formelhaften Handlung über die blasse Besetzung bis zur abgekupferten Schlusspointe eine gänzlich unbemerkenswerte Angelegenheit. Dabei wäre durchaus Potenzial vorhanden gewesen.

   Praesens

Von Sandro Danilo Spadini

Man kann über die «Saw»-Filme sagen, was man will: dass sie gewaltverherrlichend seien; dass sie folterverniedlichend seien; dass sie lebensverachtend seien. Eines aber muss man ihnen lassen: Sie sind – zumal aus rein filmischer Sicht – einfach verdammt effektiv. Und just das ist «No Escape» nun eben nur leidlich, wiewohl sich Regisseur und Drehbuchautor Will Wernick hier ordentlich Orientierungshilfe holt bei der kultverdächtigen Horror-Splatter-Reihe, deren acht Teile annähernd eine Milliarde Dollar weltweit eingespielt haben. Man wagt sich entsprechend nicht gar so weit in die Folterkammer, wenn man prophezeit, dass dieser Low-Budget-Produktion weder eine langlebige Franchise noch die ganz üppigen Rubelrollereien beschieden sein werden. Eine solche Erwartungshaltung hatte hier indes offenkundig auch niemand. Und das geht natürlich voll in Ordnung. Aber dass «No Escape» nicht mal ambitionslose eskapistische Unterhaltung hinkriegt und selbst bei einer läppischen Laufzeit von anderthalb Stunden bisweilen langweilt – das ist dann doch eine klitzekleine Enttäuschung, zumal die Ausgangslage ja durchaus ein gewisses Potenzial bergen würde.

Hiebesgrüsse aus Moskau

Freilich bleibt nicht nur das einigermassen Originelle, das in der Grundkonstellation von «No Escape» steckt, ungenutzt. Vielmehr begnügt sich Regisseur Wernick gar ganz damit, aus Versatzstücken anderer, besserer Filme einen pampigen cineastischen Schnellimbiss zusammenzuschustern. So ist «Saw» also nicht die einzige Inspirationsquelle, die er für seinen dritten Langspielfilm anzapft. Da sind überdies deutlichste Parallelen zu diesem rund 20 Jahre alten Klassiker, die einen schon im ersten Drittel die finale Pflichtpointe antizipieren lassen (um jenen, die aus einem nachvollziehbaren Mangel an absoluter Konzentration den Link allenfalls nicht machen, die Überraschung zu erhalten, bleibe das hier im Vagen). Und schliesslich knüpft Wernick auch noch an seinen eigenen Zweitling an: Der heisst «Escape Room» und ist nicht dieser recht passable und fortsetzungsfähige Halb-Hit aus dem Vorjahr, sondern ein identitätsloses Thrillerprodukt, das den wenigen, die es gesehen haben, nicht allzu viel Eindruck gemacht hat. An dieses jedenfalls erinnert Wernick nun nicht nur im Titel, wobei es zu sagen gilt, dass «No Escape» auch als «Follow Me» unterwegs ist; nein, es geht hier tatsächlich auch wieder hinein in einen Escape-Room – und zwar in einen, der «gruselig wie die Hölle», «massgeschneidert» auf seine Klientel und «perfekt für dich» ist, wie dem dödeligen Social-Media-Star Cole (Keegan Allen) von seinen vier noch dödeligeren «besten Freunden aller Zeiten» beschieden wird. Vonstatten gehen wird diese «intensive Erfahrung» in Moskau, organisiert von einem Russen namens Alexei (Ronen Rubinstein), dessen Vater «in der Politik oder so» sei und der mit Geld um sich werfe «wie ein Idiot». Worauf man sich beim Besuch in der russischen Kapitale zudem freut: auf «die besten Clubs, die besten Restaurants». Und was einen darüber hinaus erwartet: stiernackige Glatzköpfe mit Goldketten und aufbrausendem Gemüt und seelenlose Supermodels mit Bling-Bling und williger Attitüde. Russland halt, aus der Sicht Hollywoods zumindest. Und sicher auch absolut übereinstimmend mit dem Bild, das der so erfolgreiche wie unreife Cole sich in seinem hohlen Kopf ausgemalt hat. Aber wer weiss: Vielleicht lernt der ja jetzt noch was dazu; darauf wenigstens scheinen es seine Kumpel anzulegen mit dieser Überraschung. Und jetzt, ja eben jetzt müsste da doch besagte Vorahnung aus dem Kinobewusstsein kriechen. Nicht? Na dann gibts vielleicht tatsächlich immerhin einen flotten Aha-Effekt am Schluss.

Schulter- statt Wimpernzucken

Wenig überraschend ist derweil, dass sich dieser Escape-Room als unentrinnbare Todesfalle ertappen wird – dass aus dem selbstverständlich via Handykamera an Coles Follower übertragenen Spiel bald blutiger Ernst wird und dessen Teilnehmer einer nach der anderen in ungustiöse Bredouillen gerät. Das freilich rührt uns insofern ganz und gar nicht, als sich das Drehbuch zuvor nicht damit aufgehalten hat, uns mit so etwas wie sympathischen oder dann halt substanziellen Charakteren zu behelligen, sodass wir bei deren programmiertem Hinschied denn auch keinerlei Abschiedsschmerz verspüren. Und die Besetzung, die so unbemerkenswert ist wie die Finsterkeit nur vortäuschende Inszenierung, ändert daran sowieso nichts. Das Mitfiebern entfällt so mithin; und selbst das in solchen Situationen sonst noch drollige Miträtseln bringt keine Würze in dieses Trauerspiel. Zwar wird uns und der viralgegangenen amerikanischen Reisegruppe nach dem immerhin ein wenig Angststimmung erzeugenden Sightseeing in dieser fremden und irgendwie bedrohlichen Stadt von Alexei vor den Toren des Escape-Rooms eröffnet, dass jede Erfahrung komplett anders sei und man daher nie wisse, was als Nächstes geschehe. Doch auf den Film trifft eben das Gegenteil zu. Selbst zu einer milden Gesellschaftskritik lässt er sich nicht hinreissen: an diesen nach Klicks und Likes gierenden Zombies, die noch das Nichtigste festhalten und mit der Welt teilen müssen, weil sie fürchten, es sei sonst womöglich gar nicht passiert. Also hakt man das dann schulter- statt wimpernzuckend schnell und schmerzlos ab und freut sich stattdessen fast ein bisschen auf das neunte Kapitel der «Saw»-Saga, das im Mai 2021 in die Kinos kommen soll.