Im Land der tausend Würfel

Hätte Franz Kafka einen Film gedreht, sähe er wohl so aus. Die kanadische Low-Budget-Produktion «Cube» gehört trotz eklatanter darstellerischer Mängel zu den faszinierendsten Filmen dieses Jahres.

 

von Sandro Danilo Spadini

Sechs Menschen sind scheinbar ohne Grund in einem System von mehreren tausend Würfeln eingesperrt. Der Ausweg aus diesem Labyrinth führt über eine komplizierte mathematische Lösung, doch lauern überall tödliche Fallen. Nein, dies ist keine neue Reality-Soap aus dem Hause Endemol, sondern viel mehr das höchst interessante Erstlingswerk des in Kanada lebenden Regisseurs Vincenzo Natali mit dem Titel «Cube». Bereits 1997 gedreht, fand «Cube» erst jetzt den Weg in die hiesigen Kinos. Gott sei Dank, kann man nur sagen. Das Filmland Kanada, dessen namhafteste Exponenten wie David Cronenburg («Crash») oder Atom Egoyan («Exotica») die Kinolandschaft schon seit Jahren nachhaltig prägen, brachte in den letzten Jahren eine Vielzahl von äusserst ambitionierten Projekten hervor, welchen aber im Ausland leider kaum Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Leute wie Bruce Mc Donald («Highway 61») oder Patricia Rozema («When Night is Falling») seien hier stellvertretend für andere wenig beachtete, aber ungeheuer talentierte Regisseure genannt. «Cube»-Schöpfer Vincenzo Natali indes scheint es geschafft zu haben, erregte sein gerade mal 350'000 Dollar teures Erstlingswerk doch allerorten grosses Interesse.

Albtraum ohne Ausweg

«Cube» ist ein Film, der unter die Haut geht – kafkaesk, klaustrophobisch und hypnotisch zugleich. Wie Josef K. in Kafkas Prozess müssen sich die sechs Gefangenen fühlen, die weder wissen von wem noch weshalb sie gerichtet werden. Gespenstisch sind die sich lediglich in ihrer Farbe unterscheidenden Würfel, eiskalt und den Film kongenial in seiner düsteren, gleichsam traumatischen Stimmung unterstützend der Soundtrack. «Cube» ist ein Horrortrip, ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Bauten scheinen wie aus Terry Gilliams «Brazil» entliehen, wogegen die allseits gegenwärtige mathematische Komponente Erinnerungen an Darren Aronofskys Geniestreich «Pi» wach werden lässt.

Sartre lässt grüssen

Grosses Kino lebt zu einem nicht zu unterschätzenden Teil auch von grossen Darstellern. Leider wird hier deutlich, dass es sich bei «Cube» um eine ganz kleine Independant-Produktion handelt. Teile des Ensembles agieren bisweilen wie Laiendarsteller. Zu selten sind sie in der Lage, dem Zuschauer die enormen zwischenmenschlichen Spannungen, denen sie ausgesetzt sind, transparent und glaubwürdig zu vermitteln. Dabei sind die Charaktere nicht uninteressant konstruiert, was sich bei den philosophischen Diskussionen unter den Gefangenen positiv niederschlägt. Gerade diese Gespräche sind es, die «Cube» von den zwar aussergewöhnlich stilvoll gemachten, aber inhaltlich zumeist banalen Erstlingswerken der jüngeren Zeit abhebt. «Cube» ist ein höchst intelligentes Gleichnis, das sich geschickt Themen des Existentialismus und der Psychologie bedient, ohne dabei in neunmalkluge Analysen über das menschliche Dasein abzudriften.