Lynchs schönster Film

Mit einem ebenso wunderschönen wie langsamen Roadmovie überrascht Kultfilmer  David Lynch das Publikum. «The Straight Story» ist ein weiterer Meilenstein im Schaffen des derzeit wohl faszinierendsten Regisseurs Amerikas.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ob «Blue Velvet», «Lost Highway» oder «Twin Peaks», in den bisherigen Werken von David Lynch wurden dem Zuschauer auf beklemmende und verstörende Weise menschliche Abgründe vor Augen geführt. Träume, exzessive Gewalt und abartiger Sex beherrschten die seltsamen Welten, in welchen sich seine stets mehr oder minder verwirrten Protagonisten bewegten. Ganz andere Wege schlägt Lynch nun mit seinem neuen Film ein. «The Straight Story» erzählt die wahre Geschichte des 73-jährigen Alvin Straight, welcher sich auf einem Rasenmäher auf eine mehrere hundert Kilometer lange Reise quer durch den Mittleren Westen Amerikas begibt, um einen Jahre zurückliegenden Streit mit seinem Bruder Lyle auszuräumen.

Oscarreifer Hauptdarsteller

Auf seiner mehrwöchigen Tour trifft Alvin auf die unterschiedlichsten Menschen. Auf diese Weise erfährt der Zuschauer nach und nach seine Lebensgeschichte; und es dauert keine halbe Stunde, bis man den liebenswerten Kauz in sein Herz geschlossen hat, was nicht zuletzt an Hauptdarsteller Richard Farnsworth liegt. Wenn es in Hollywood mit rechten Dingen zugeht, ist dem 79-jährigen eine Oscar-Nominierung sicher. Ein weiteres Glanzlicht setzt Lynchs Hauskomponist Angelo Badalamenti mit seinem traumhaften Soundtrack. Wenn die Kamera langsam über die Maisfelder Iowas fährt und dazu diese schlichten Klänge ertönen, fühlt man wieder die atmosphärische Dichte, die Lynchs frühere Filme ausgezeichnet haben. Die bisherigen Filme von David Lynch wurden zumeist höchst kontrovers diskutiert, zumal sie bereits zu Zeiten als Tarantino noch in seinem Videoladen in North Hollywood arbeitete mitunter exzessive Gewaltszenen enthielten. Ebenso die nicht immer einfach zu entschlüsselnden Geschichten seiner Filme sorgten für einige Verwirrung. Nichtsdestotrotz erhielt Lynch 1990 für «Wild at Heart» die Goldene Palme von Cannes. Hernach setzte es jedoch mit dem von Presse und Publikum gnadenlos unterschätzten «Twin Peaks – Fire walk with me» sowie «Lost Highway» zwei kommerzielle Misserfolge. Doch Lynchs Ruf als einer der grössten Regisseure der Gegenwart konnte auch dies nicht erschüttern, gilt doch vor allem «Lost Highway» als eines der unbestrittenen Meisterwerke der Neunzigerjahre.

Schlicht und wunderschön

Mit «The Straight Story» setzt sich nun Lynch endgültig die Krone auf. Auch wenn man sich zunächst an das wirklich extrem langsame Erzähltempo gewöhnen muss, ist man schon bald von diesem schlichten Film hingerissen. Es sind nicht viele Worte die Alvin Straight in den Mund nimmt, doch was er zu sagen hat, lässt erahnen, wieviel Grösse und Würde dieser Mann gehabt hat. Selten gab es in den letzten Jahren einen Film, bei dem auf der Leinwand so wenig geschieht – und selten gab es in den letzten Jahren einen schöneren Film.