Leiden in den verdammten Staaten von Amerika

Oscar-Favorit: Im tatsachenbasierten Sklavendrama «12 Years a Slave» lässt uns der britische Künstler Steve McQueen unbarmherzig verzweifeln am Unrecht vergangener Zeit.

 

von Sandro Danilo Spadini

Er wird mit Mister Northup angeredet; er ist ein exzellenter Geigenspieler; er diniert mit weissen Herren an noblen Orten: Er ist ein freier Schwarzer und lebt im Jahr 1841 mit seiner Familie in Saratoga Springs, New York. Im nächsten Moment aber ist alles anders. Denn die Schweine, die ihn während seines Gastspiels in Washington entführt haben, wollen von alledem nichts hören. Sie sagen in diesem kahlen dunklen Raum zu ihrer im Nachthemd am Boden liegenden Beute: «Du bist kein freier Mann. Du bist nur ein entlaufener Nigger. Du bist ein Sklave.» Und dann setzt es Prügel. Und es wird immerfort Prügel setzen in den nächsten zwei Stunden. Das Martyrium von Solomon Northup, mit einem Kraftakt verkörpert vom Briten Chiwetel Ejiofor, hat nämlich erst begonnen. Es wird zwölf Jahre dauern. So sagt es ja der Titel der 1853 erschienenen Autobiografie von Northup. So sagt es auch der Titel des Golden-Globe-prämierten und Oscar-verdächtigen Films von Steve McQueen. Und wer diesen Steve McQueen, 44-jähriger schwarzer Künstler, Fotograf, Regisseur aus London, kennt, der weiss, dass einem nun nichts erspart werden wird. Wie beim Hungerstreik im Debüt «Hunger». Wie bei der Sexsucht im Zweitling «Shame».

Hölle unter freiem Himmel

Einen radikalen Filmemacher wird man McQueen wohl nennen dürfen. Einen, der ganz lange und fest draufhält – unerbittlich, unbarmherzig. Einen, der zeigt, was man nicht zeigt, der sagt, was man nicht sagt, der filmt, wie man nicht filmt. Einen allerdings auch, der bei allem Leid und aller Pein, aller Qual und allem Schmutz in seinen Dramen stets auch das Schöne und Schmucke sucht. Und wenn er es in diesen Abgründen endlich findet, ist das noch ungleich verstörender. Da klingen dann Bach in «Shame» oder Schubert und die Hans-Zimmer-Sinfonien in «12 Years a Slave» wie ein Hohn. Da stehen die prächtigsten Körper nackt da und sind vor allem entblösst. Da geraten Wunderwerke der Architektur und der Natur zu Kerkern – was sie bei Solomon selbstverständlich auch sind in dieser Hölle unter freiem Himmel. Im scharfen Kontrast zum urbanen New Yorker Jetzt von «Shame» ist McQueen ganz tief in den gestrigen ländlichen Süden eingetaucht: draussen in Louisiana, wohin Solomon per Schiff geschafft und wo er «auf den Markt» gebracht wird. Was er dort antrifft: Sadisten allenthalben, Sklaventreiber halt. Gekauft wird er aber immerhin von einem frommen Plantagenbesitzer (Benedict Cumberbatch), dem Anstand und Nächstenliebe nicht fremd sind – und der Solomons klugen Rat in Bausachen so schätzen lernen wird wie dessen versiertes Geigenspiel. Als es aber zur Fehde mit dem eifersüchtigen Vorarbeiter (Paul Dano) kommt, wird Solomon von seinem «Master» notgedrungen weiterverkauft. Auf den Baumwollfeldern von Edwin Epps (brillant böse: Michael Fassbender) gibt es nun ausser der lieblichen Patsy (Oscar-nominiert: Lupita Nyong’o) kein Licht mehr. «Sehr viele Schläge» kündigt dieser Sadist, Säufer und Sexfreak an. Und Epps wird Wort halten. Mehr noch: Er wird seine Sklaven nicht nur körperlich, sondern auch seelisch misshandeln. Er wird ihnen nach der Freiheit auch die Würde rauben. Und er wird sie für sich tanzen lassen.

Unverzeihlich, unvergesslich

All das ist schwer zu ertragen. Weil es stilistisch weitgehend ungefiltert ist. Weil es in seiner tiefen Menschlichkeit brutal unerschrocken ist. Und weil wir durch diesen direkten Ansatz McQueens wieder so nahe dran sind. Man will da eigentlich nur noch wegschauen, sich wegdenken, wegrennen gar: davonlaufen von diesem Elend, wie es Solomon gelingen möge – und wie er es mithilfe des spät aufkreuzenden Brad Pitt endlich auch schaffen wird. Doch zum einen ist das filmisch schlicht zu grandios, als dass man sich abwenden könnte; und zum anderen ist das alles viel zu wichtig, als dass man es ignorieren dürfte. Klar hat sich eben erst auch Quentin Tarantino in «Django Unchained» erstaunlich ernsthaft der Sklaverei angenommen. Doch was wir hier mitten ins Gesicht geschleudert bekommen, ist von ganz anderer Wucht. Es wird einen lange nicht in Ruhe lassen. Es wird einen verzweifeln lassen über diese gottverdammte Ungerechtigkeit. Es wird einen nie mehr je diese unverzeihliche amerikanische Sünde vergessen lassen. Und das ist eine enorme Leistung.