Als ob das bloss Tontauben wären

Clint Eastwoods Oscar-nominierter Kriegsfilm «American Sniper» ist handwerklich astrein und hat einen schwer beeindruckenden Bradley Cooper. Er offenbart aber vor allem auch eine bedenkliche Weltsicht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die erste Entscheidung, die Chris Kyle (Bradley Cooper) treffen muss, ist gleich eine unmögliche: Durch sein Zielfernrohr sieht er einen Jungen mit etwas, was eine Granate sein könnte, auf einen Panzer der US Army zulaufen. Was der beste Scharfschütze der amerikanischen Militärgeschichte nun tun wird, lässt Regisseur Clint Eastwood zunächst freilich offen. Statt zu zeigen, wie dieser Mann jetzt reagiert, der in vier Touren 1000 Diensttage im zweiten Irak-Krieg leistet und dort 160 Menschen tötet, blendet Eastwood zurück: Erst gehts in die Kindheit mit dem strengen und gläubigen Papa, der Chris ermahnt, dass in der Familie Kyle weder Wölfe noch Schafe, sondern nur Schäferhunde und also Beschützer grossgezogen würden; dann sehen wir Chris als jungen Erwachsenen, wie er die Tage mit Rodeo und Bier verlümmelt. Wie er das Leben als Cowboy preist. Und wie er dann doch bei den Navy Seals landet. «Sind Sie Patriot? Kämpfen Sie gerne?», wird er gefragt. Beides bejaht Kyle und hat seine Berufung gefunden. Und die Frau fürs Leben bald gleich dazu. Taya (Sienna Miller) trifft er, natürlich, in einer Bar. «Ich bin kein Prolet, ich komme aus Texas», meint er da knackig, und schon ein paar Szenen später darf er ihr erklären, warum er tut, was er tut: «Amerika ist das beste Land der Welt, ich beschütze es.»

Pathos und Patriotismus

Sprüche solchen Kalibers kommen in grossen Teilen Amerikas immer gut an. Und daher darf es nicht verwundern, hat «American Sniper» bereits 320 Millionen Dollar eingespielt: etwa gleich viel wie die übrigen sieben Nominierten für den «Besten Film» zusammen, wie bei den Oscars gespottet wurde. Dass dieser westernhafte Action-Kriegsfilm aber überhaupt in dem erlauchten Kreis auftauchte, hat durchaus Irritationen ausgelöst. Denn wie Eastwood sein Thema anpackt, zeugt einmal mehr von einer bedenklichen Weltsicht des bald 85-Jährigen. Weckt er mit dem dilemmabeladenen Prolog noch die Hoffnung, er möge die Gräuel des Kriegs kritisch beleuchten, so huldigt er danach nur mehr plattem Pathos und plumpem Patriotismus. Dass er den Irak-Krieg von George W. Bush nie hinterfragt, mag sein gutes Recht als Republikaner sein; und dass er keinen Anti-Kriegs-Film gedreht hat, sei ihm als Künstler unbenommen. Aber wenn er mittels manipulativer Montage suggeriert, die Verantwortlichen für 9/11 seien im Irak zu finden, wird es problematisch.

Gesichtslose Wilde

Politische Einstellung und historische Unschärfe sind es freilich nicht zuvorderst, die «American Sniper» zu einem so unsympathischen Film machen. Dafür sorgen vor allem die allzu vertraute Auge-um-Auge-Mentalität und die menschenverachtende Ignoranz, die Eastwood und sein weit herum gefeierter Held offenbaren. Zwar interessiert man sich dafür, was der Krieg aus einem Menschen macht und wie er zur Sucht werden kann; so wird denn auch gezeigt, wie Chris bei seinen Heimaturlauben nur physisch da ist und in Tayas Augen erst «wieder menschlich werden muss». Aber das hat man in «The Hurt Locker» besser und genauer analysiert bekommen; und zudem ist Eastwood einfach nicht der Typ, der Kyles maschinelles Killen moralisch einordnen würde. Da ist er ganz Dirty Harry: Ungeziefer muss weg. Auch Kyle selbst ist kein Grübler. Er ist ein Schweiger. Und wenn er etwas sagt – im Film oder im Buch, auf dem «American Sniper» beruht –, klingt das so: dass er besser lebendige Ziele treffe oder dass er es bedauere, nicht noch mehr dieser Wilden erschossen zu haben. Die Wilden, das sind die irakischen Feinde. Und sie degradiert Eastwood knallhart und eiskalt zu anonymer Beute. Sie abzuknallen, das ist wie Sport – als ob das bloss Tontauben wären. Ähnlich sauber ist es obendrein: Gestorben wird, zumal auf Feindesseite, wie im Kino von einst – schnell und schmerzlos. Das macht es Eastwood natürlich leicht, Kyle nicht als notwendiges Übel, als Antihelden vielleicht zu inszenieren, sondern als wackeren Vaterlandsbeschützer – als «Legende», wie er so oft genannt wird. Bradley Cooper spielt diesen All-American Pfundskerl mit 20 Kilo mehr auf den Rippen und einem Gewicht, das ihm die dritte verdiente Oscar-Nominierung am Stück beschert hat. Kyle indes musste teuer bezahlen. Er wurde vor zwei Jahren von einem traumatisierten Irak-Veteranen erschossen. Dieser steht derzeit vor Gericht. Die Verteidigung sorgt sich, die Geschworenen könnten wegen des Films voreingenommen sein. Clint Eastwood wäre das sicher recht.